Wirtschaftsfaktor Kriminalität

Jährliche Beute von 100 Milliarden Mark  ■ Aus Hamburg Hermannus Pfeiffer

Die internationale Finanzkriminalität richtet in Deutschland schätzungsweise einen Schaden von rund 100 Milliarden Mark an – und das jährlich. Betrogen werden Banken, Kreditnehmer, der Staat, institutionelle und private Anleger. Gegen die Geschäftsführung des „European Kings Club“ hatte im Oktober der Prozeß vor dem Frankfurter Landgericht begonnen: In den Neunzigern habe der Club mehr als 90.000 Kunden etwa eine Milliarde Mark aus den Taschen gezogen. Die Manager wurden kürzlich zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Ungleich gefährlicher für die Finanzmärkte wird es, wenn Banken und Sparkassen selbst geschädigt werden. Manchmal passiert das auf dem Transitweg – nicht durch die provisionsträchtige Geldwäsche –, sondern beispielsweise beim Scheckbetrug: Für ungedeckte US-Schecks stellt sich häufig eine Schadensersatzpflicht. Betroffen ist die einlösende deutsche Bank. Für den externen Bankbetrug hat sich mittlerweile eine große Palette herausgebildet. Von der Einreichung ungedeckter Auslandsschecks bis zum Kontoeröffnungs- Betrug, von der Finanzierung vorgetäuschter Projekte bis zum Betrug im Außenhandel.

Beispiel: Ein krimineller Exporteur läßt sich von seiner Hausbank eine Rechnung für Maschinen, die vorgeblich nach Chile geliefert worden waren, sofort auszahlen. Das ist durchaus üblich, weniger üblich ist aber, daß gar keine Lieferung erfolgt. Solche Art von Betrug funktioniert mittels gefälschter Frachtpapiere.

Eine besondere Gefahr für Kreditinstitute stellt der Leasingbetrug dar. Gefälschte und manipulierte Leasingverträge brachten dem Factoring-Unternehmen Procedo und seinem größten Kunden, dem Sportbodenhersteller Balsam, den Konkurs. Infolge der Procedo-Pleite blieben die Banken auf faulen Kreditforderungen von über einer Milliarde Mark sitzen. Und auch der Ruin des Hamburger Bankhauses Fischer zur Jahreswende wurde durch manipulierte Leasingverträge verursacht. 1,6 Milliarden Mark zahlte der Einlagensicherungsfonds an die Fischer-Kundschaft.

Nutznießer des externen Bankbetrugs ist ein sehr kleiner Kreis, behauptet der Salzburger Kriminalbeamte Manfred Glinig. Er verfaßte für den Verband der österreichischen Banken und Bankiers die Studie „Der internationale Finanzbetrug“ (Wien 1996). Glinig vermutet hinter den europäischen Finanzbetrügereien lediglich eine kleine Schar von 500 Personen, die allerdings ein Betrügerheer von einigen tausend Handlangern, darunter Notare und Finanzberater, dirigieren.

Am Ende werden die Verluste sozialisiert

Finanzkriminalität bedroht die Wettbewerbsordnung. Legal arbeitende Firmen haben höhere Kosten – etwa bei der Kreditversorgung. Billiger ist es, Sicherheiten für die Kreditbewilligung zu verfälschen. Wie verbreitet derlei in Deutschland ist, lassen die Konkursverfahren ahnen.

Nach den Beobachtungen des polizeilichen Finanzexperten Bernd Bartel spielt Kreditbetrug in 70 bis 80 Prozent aller Konkursverfahren eine Rolle. Den Schaden haben zunächst die Banken. Am Ende werden aber die Verluste, so Heerdt, über Kunden-Konditionen und steuermindernde Bilanzpositionen quasi sozialisiert. Noch größer sind die Schäden durch internen Bankbetrug. Erinnert sei an die Fälle Morgan Grenfell, in den die Deutsche Bank verwickelt war, und Baring Bank, bei dem ein einzelner Händler Spekulationsverluste unbekannter Höhe verursachte. Aber nicht ausschließlich solche spektakulären Fälle zeigen eine Zunahme der Delikte: Größte Auftraggeber des privaten Detektivgewerbes sind mittlerweile Banken und Versicherungen. Die Dresdner Bank entließ etwa einen Händler wegen Veruntreuung. Offizieller Schaden: vier Millionen Mark. Mit der gleichen Begründung wurde der frühere Chefhändler der DG Bank zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Auslöser waren Milliardenspekulationen mit französischen Wertpapieren, die allerdings vom strafrechtlichen Verfahren ausgenommen wurden. Offizieller Schaden: 40 Millionen Mark.

Yasuo Hamanaka, von der japanischen Finanzgruppe Sumitomo, besorgte den bislang größten betrügerischen Spekulationsverlust in der globalen Finanzgeschichte. Um die zweieinhalb Milliarden Dollar hat er an den Kupferbörsen illegal verspielt. Der Fall Hamanaka ist typisch: Zu den ständigen Risiken aus dem normalen Finanzgeschäft treten Managementfehler, purer Leichtsinn, eine bedingungslose Renditeorientierung und dann erst die banale Kriminalität. Typisch ist er aber auch für die Schwächen der nationalen Aufsichtsbehörden. Das japanische Wirtschaftsministerium Miti und die Zentralbank waren nicht zuständig, weil Hamanaka in New York und vor allem in London handelte. Die Londoner Metallbörse LME, über die Hamanaka das Gros seiner Kupferspekulationen abwickelte, kontrolliert nur ihre eigenen Börsenmitglieder. Hamanaka handelte aber über Makler. Typisch ist der Fall Hamanaka obendrein in Hinsicht auf die Schwächen der Selbstkontrolle in vielen Kreditinstituten.

Nur wenige international operierende Banken verfügen über ein „Integriertes Risikomanagement“ wie etwa die Weltbank: „Das Risiko der Weltbank kann zu jedem Zeitpunkt durch eine einzige Zahl ausgedrückt werden.“ Aber auch solches Risikomanagement ist zuletzt nur so gut wie die Daten und die Menschen dahinter.