„Tapferkeit und Mut“

■ Der Verleger Klaus Wagenbach über den Dichter Hermlin und seine Biographie

taz: Sie waren zuletzt Stephan Hermlins Verleger. Was hat Sie mehr beeindruckt, der Schriftsteller oder die öffentliche Figur?

Klaus Wagenbach: Zweifellos hatte Stephan Hermlin eine Biographie, wie es sie heute nicht mehr gibt, gar nicht mehr geben kann. Stellen Sie sich mal vor: Bürger aus reichem Haus, der zum Kommunisten wird, zum Widerstandskämpfer, vor allem aber, der sofort nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrt. Als Jude! Als jemand, der umgebracht worden wäre, wäre er auch nur fünf Tage vorher zurückgekommen. Und das habe ich immer zutiefst an ihm bewundert: seine Tapferkeit, seinen Mut.

Nun waren die Fakten seiner Biographie zuletzt nicht unumstritten.

Ich habe Hermlin vor 14 Tagen noch einmal gesprochen, und da war unser Kontakt ausgesprochen heiter. Ob die Vorwürfe an ihm genagt haben? Schwer zu sagen. Aber wie immer die Korrekturen von Corino aussehen mögen, ob er nun 43 oder 44 in die Schweiz emigriert ist, ob er nun im KZ gesessen hat oder „nur“ in einem französischen Lager – jemand, der eine solche Geschichte hat, kann so eine Kritik nicht erweichen.

Wann sind Sie Hermlin zum ersten Mal begegnet?

Ganz früh, schon Ende der Fünfziger – und immer hab' ich über ihn gestaunt! Am Anfang unserer Bekanntschaft war er Sekretär der Akademie der Künste in Ostberlin und hat in dieser Funktion eine Lyrikveranstaltung gemacht, mit den jungen Autoren, von Volker Braun über Rainer Kirsch bis Kunert und Biermann. Wurde natürlich sofort entlassen. Da hat er gesagt: „Genossen, die Entlassung war vollkommen richtig. Ich kann euch nämlich nicht versprechen, daß ich denselben Fehler noch mal mache.“

Nach dem Ende der DDR hat Stephan Hermlin gesagt: Ich nehme zur Kenntnis, daß ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.

Genau, aber dann hat er eine Pause gemacht. Und ergänzt: Aber damit sind sie noch lange nicht erledigt. Die Fragen bleiben dieselben. Interview: Thomas Groß