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„Warum geht ihr nicht in die Friedrichstraße?“

■ Noch nie war das Verhältnis zwischen Ost- und West-Linksradikalen schlechter

„Wir wollen nicht, daß ihr euch in die Tradition der Entmündigung seit dem Anschluß einreiht“, warnte ein Vertreter der Gruppe O.S.T.B.L.O.C.K. aus Prenzlauer Berg die West-Vertreterin des „revolutionären“ 1.-Mai-Bündnisses. Zuvor hatten etwa hundert Menschen über die Frage diskutiert, ob die diesjährige 1.-Mai-Demonstration erneut durch Prenzlauer Berg ziehen soll. Die Antwort der Ostberliner war eindeutig nein: „Wir wollen Politik mit und nicht gegen die Menschen machen“, sagte ein Mitarbeiter der „Umweltbibliothek“.

Die Diskussion im Gemeindesaal der Elias-Kirche am Dienstag abend war der vorläufige Höhepunkt des Streits zwischen Ost- und Westberliner Oppositionellen. Während sich in der Debatte um die Mai-Demo 1996 die Ablehnung („Bleibt drüben!“) noch mit der spielerischen Attitüde des Ost- West-Kulturkampfs gemischt hatte, war es den Ost-Vertretern nunmehr bitterer Ernst. Zu offensichtlich waren die Differenzen, zu vordergründig die Argumente der West-Vorbereitung für die Demo im Osten, zu nachhaltig die Erfahrungen mit den „Kreuzberger Ritualen“ von 1996 am Kollwitzplatz.

Wie weit die politische Wahrnehmung zwischen Ost- und West- Linken auseinandergehen kann, zeigte der Auftritt eines ehemaligen Aktivisten des Neuen Forums. Kaum hatte er – im Namen der Arbeiter – seinen lautstarken Protest gegen die Demo vorgetragen, wurde er von von einigen West- Vertretern als „Rassist“ und „Antisemit“ beschimpft. Für Wolfgang Rüddenklau von der „Umweltbibliothek“ war dies wiederum Hinweis dafür, daß aus dem Denken der West-Linken das „Erschießungskommando“ noch längst nicht verbannt ist.

Doch nicht nur die kompromißlose Abgrenzung der Ost-Gruppen – darunter die Zeitschriften Sklaven und telegraph, der Infoladen „Badito-Rosso“, der Kiezladen Dunckerstraße und einige Antifa-Gruppen – gegenüber Dogmatikern und Stalinisten steht hinter diesem Konflikt, sondern ein völlig unterschiedliches Verständnis von Politik. Anders als in Kreuzberg hat es in Prenzlauer Berg nie einen endgültigen Bruch zwischen Autonomen und linken Bürgerrechtlern gegeben. Anstatt sich gegenüber dem „Feind“ abzugrenzen, spricht man miteinander. Und mit den Bewohnern. „Wir wollen unseren Widerstand im Kiez verankern“, sagte ein Mitarbeiter des Kiezladens. Eine Straßenschlacht, bei der kleine Läden in Mitleidenschaft gezogen würden, würde die Basisarbeit gefährden.

Politik, die am Alltag der Menschen ansetzt oder politische Symbolik im Namen der Revolution – dieser Konflikt wurde spätestens seit der Mai-Demonstration 1992 offenkundig. „Während wir uns aus unserer Geschichte heraus kein Zusammengehen mit doktrinären ML-Sekten vorstellen können“, hieß es in einem Flugblatt, „beschwert sich ein großer Teil der Wessis maximal über nicht eingehaltene Absprachen.“

Vor allem aber ärgert es die Ost- Linken, warum ausgerechnet Prenzlauer Berg als Kulisse für die westliche Symbolik „revolutionärer“ Politik herhalten muß. „Auf eurem Flugblatt steht, daß ihr die Macht bekämpfen wollt“, sagte ein Anwohner des Kollwitzplatzes. „Warum geht ihr dann nicht zur Friedrichstraße?“ Uwe Rada

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