Länder greifen in Kriegskassen

Finanzminister fordern fünf Milliarden Mark Steuernachzahlung von AKW-Betreibern – Konzerne wollen dagegen klagen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Die bisher steuerfreien Rückstellungen für die Atommüllentsorgung, die milliardenschwere sogenannte Kriegskasse der großen Energieversorger, haben die Finanzminister der Länder jetzt erstmals ins Visier genommen. Auf Antrag Nordrhein-Westfalens beschloß am Donnerstag im Bonn eine Mehrheit der Minister, daß die Atomstromer zumindest ihre Rückstellungen für den Betrieb künftiger atomarer Endlager aufzulösen zu haben. Rund 10 Milliarden müßten die AKW-Betreiber nun als Gewinne versteuern, was dem Bund und den Ländern etwa je 2,5 Milliarden Mark an zusätzlichen Einnahmen aus der Körperschaftssteuer bescheren würde.

Die Vereinigung der Deutschen Elektrizitätswerke kündigte allerdings gestern an, daß die Stromkonzerne gegen entsprechende Steuerbescheide „mit Sicherheit Rechtsmittel einlegen werden“. Nur acht Länder hatten für die Auflösung der Rücklagen gestimmt. Hessen, Rheinland-Pfalz, Bremen und Sachsen-Anhalt enthielten sich. Bayern, Thüringen, Sachsen und Baden-Württemberg, die die Rechtsauffassung des Bundes teilen, stimmten sogar dagegen. Der Bund ist der Meinung, daß die Rücklagen an sich nicht ungerechtfertigt sind. Sie müßten jedoch wie üblich abgezinst werden – das heißt, in die Endsumme werden Zinseszinsen des schon Angesparten mit einberechnet. Nach dieser Variante würden nur 750 Millionen Mark Steuerforderungen fällig.

Da der Bund den Beschluß nicht per Rechtsverordnung für alle Länder verbindlich machen will, könnten die Atomstromer jetzt eine Besteuerung der bisherigen Rücklagen theoretisch durch Umzug der Konzernzentralen ins Süddeutsche vermeiden.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Präsident von Eurosolar, Hermann Scheer, hatte im Dezember alle Länderfinanzminister wegen der Kriegskassen angeschrieben. Er warf gestern Bayern und Baden-Würtemberg vor, die „AKW-Betreiber rechstwidrig zu begünstigen“. Laut Konzernbilanzen beliefen sich die steuerfreien Rückstellungen der Stromkonzerne für die Entsorgung des Atommülls und abgeschalteter AKW inzwischen auf insgesamt 55 Milliarden Mark. Nach Scheers Auffassung hätten die Atomstromer nach den einschlägigen Kriterien des Bundesfinanzhofes lediglich 19 Milliarden unversteuert in die Rücklage nehmen dürfen. Er sieht in der Bevorzugung der Atomstromer „den größten Finanzskandal der bundesdeutschen Geschichte“. Die Stromerzeuger hätten 18 Milliarden Mark an Steuern gespart und damit zahlreiche Unternehmenskäufe finanziert.

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