: Wehe dem, der warnt – Ethik kontra Karriere
■ Wenn Forscher ihre Gewissenskonflikte öffentlich machen, riskieren sie den Job
Die Technikerin Karen Silkwood, die 1974 der US-Atomenergie-Kommission über die Verletzung von Sicherheitsvorschriften bei den Kerr-McGee Werken berichtete, kam bald darauf bei einem mysteriösen Verkehrsunfall um. Zwar riskieren Ingenieure oder WissenschaftlerInnen, die bei ihrer Tätigkeit Umwelt- und Gesundheitsgefahren oder ethisch bedenkliche Entwicklungen erkennen, nicht immer gleich Leib und Leben, wenn sie mit diesem Wissen an die Öffentlichkeit gehen, doch schnell ihren Arbeitsplatz.
In seiner Studie „Berufsethische Verantwortung in der Forschung“ (erscheint demnächst im LIT-Verlag, Münster), vorgestellt auf der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn, geht der Jurist Dieter Deiseroth der Frage nach: Welche Spielräume haben Forscher in solchen Konfliktfällen? Er vergleicht die rechtliche Situation hierzulande mit den Verhältnissen in den USA und kommt zu überraschenden Schlüssen: Zwar ist es um den Kündigungsschutz in den USA generell eher schlecht bestellt. Doch „whistleblowers“, Menschen also, die Alarm schlagen, wenn sie Gefahren für die Allgemeinheit sehen, genießen eine Reihe von Schutzrechten: Nicht nur gibt es für sie in vielen Bundesstaaten einen besonderen Kündigungsschutz, sie können auch Entschädigungszahlungen einklagen, wenn sich der Arbeitgeber an ihnen „rächt“, oder in bestimmten Fällen Prämien für ihre Warnungen erhalten.
In Deutschland herrscht dagegen eine erhebliche Rechtsunsicherheit: Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kollidiert mit der grundgesetzlichen Garantie der Meinungsfreiheit. Wer gar seiner Firma wirtschaftlichen Schaden zufügt, weil er auf Risiken hinweist oder es ablehnt, an ihm unethisch erscheinenden Forschungsprojekten mitzuarbeiten, begeht „im Extremfall beruflichen Selbstmord“, wie es der Präsident der Bundesingenieurkammer, Werner Meihorst, formuliert. Durch alle Instanzen ging die Klage von Ärzten, die sich Ende der achtziger Jahre weigerten, bei einer Neusser Pharma-Firma an der Entwicklung von Arzneimitteln für den militärischen Einsatz mitzuwirken. Keiner von ihnen behielt seinen Arbeitsplatz.
Deiseroth konstatiert: „Der Schutz der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit für Beschäftigte liegt in Deutschland deutlich unterhalb der mittlerweile erreichten US-amerikanischen Standards.“ Er fordert unter anderem eine Umkehr der Beweislast beim sogenannten Maßregelungsverbot: Wird einem „whistleblower“ gekündigt oder erfährt er berufliche Nachteile, hätte der Beschäftigte lediglich dem ersten Anschein nach eine Diskriminierung glaubhaft zu machen. Dann solle der Arbeitgeber beweisen müssen, daß er den Arbeitnehmer nicht für sein Verhalten bestrafte. Auch anonyme Hotlines nach amerikanischen Vorbild würden dazu beitragen, daß Wissenschaftler Insiderkenntnisse und Gewissenskonflikte öffentlich machen können, ohne um ihre Existenz bangen zu müssen.
Armin Grunwald von der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen, Bad Neuenahr, warnt dagegen davor, die Handlungsmöglichkeiten einzelner Forscher zu überschätzen: Wo riesige Teams an wissenschaftlichen Projekten arbeiten und politische Vorgaben die Entwicklungsrichtung bestimmen, könne der oder die einzelne mögliche Risiken nicht umfassend überblicken. Eine solche „Verantwortungsverdünnung“ entlaste zwar das individuelle Gewissen, entbinde die Wissenschaftler aber nicht von ihrer Pflicht, die Öffentlichkeit über problematische Entwicklungen zu informieren. Sie seien ein unverzichtbares „Frühwarnsystem“, das jedoch nicht den gesellschaftlichen Diskurs über Ziele und Folgen der Forschung ersetzen könne. Wiebke Rögener
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