: Kosmetik an einer Retortenstadt
■ Prämissen für Unesco für „harmonische Integration“ des Stadtquartiers „Potsdam-Center“ sehen Auslobung vor
„Das Welterbe ist außer Gefahr“, erklärte sichtlich erleichtert der Bonner Staatsminister Anton Pfeifer nach den Verhandlungen. Die mit Potsdam, der Landesregierung, Investoren, Denkmalpflegern und Unesco-Vertretern ausgehandelten Prämissen für eine „harmonische Integration des umstrittenen Projektes ,Potsdam- Center‘ in die historische City und die Kulturlandschaft“ legt ein Bericht der Bundesregierung fest, der heute dem Unesco-Welterbekomitee zugeht. Die darin fixierten Punkte hatte die Unesco auf ihrer Jahresversammlung im Dezember 1996 in Mexiko zur Conditio sine qua non für den weiteren Verbleib Arkadiens auf der Liste der auserlesenen Weltkulturgüter gemacht.
Allerdings nur so viel ist aus dem bisher unveröffentlichten Papier bekannt: Für den gesamten Nordbereich des 1,5 Milliarden Mark teuren Stadtquartiers soll ein offener städtebaulicher Realisierungswettbewerb durchgeführt werden. Ausgenommen ist der 150 Millionen Mark teure Bahnhof mit Bahnspange, für den die Deutsche Bahn AG einen Gestaltungswettbewerb durchführt. Der städtebauliche Wettbewerb für die Bahnhofsstadt wird mit den Wettbewerben für Wiederaufbau und Gestaltung des vis-à-vis an der Havel gelegenen Altstadtzentrums mit Altem Markt und Lustgarten sowie der Wasserstadt koordiniert.
Die Entscheidung für die Überarbeitung des monolithischen Gebildes mit 178.000 Quadratmetern auf rund 87.000 Quadratmeter Baufläche ist der logische Schluß eines waghalsigen Procederes. Ohne städtebaulichen Wettbewerb wurde das Projekt 1992 statt dessen aus einer Machbarkeitsstudie des amerikanischen Architektenteams Skidmore, Owings und Merril (SOM) entwickelt. Die SOM-Studie sah – wie zur Zeit in Stuttgart geplant – eine komplette Überbauung des Bahnhofs mit Büros, Läden, Wohnungen etc. vor: insgesamt eine Baumasse von cirka 580.000 Quadratmetern.
In Potsdam hat man die megalomane Idee verworfen. Nun soll die Auslobung des Wettbewerbs für die Busineß-Stadt mit Gleisanschluß im Mai und die Preisgerichtsentscheidung im September stattfinden. Bis dahin muß die Potsdam-Center Entwicklungsgesellschaft (PCE), so der vertraglich verankerte Kompromiß weiter, alle Hochbauarbeiten ruhen lassen. Im Klartext bedeutet das eine neuerliche Bauverzögerung um ein dreiviertel Jahr, nachdem der Baubeginn bereits für 1996 geplant war.
Daß „jetzt alles offen ist“, wie Klaus Heidkamp, Geschäftsführer der als Projektentwickler in der PCE eingebundenen Unternehmensgruppe Roland Ernst, den städtebaulichen Wettbewerb kommentierte, ist zweifelhaft. Denn „Art der Nutzung und die bisher geplante Bruttogeschoßfläche“ bleiben als Wettbewerbsvorgabe unangetastet. Kritiker des ausgehandelten Berichts wie Saskia Hüneke, bündnisgrüne Initiatorin der „Aktionsgemeinschaft für ein stadtverträgliches Potsdam-Center“, verweisen zudem darauf, daß etwa die „Innerstädtische Entlastungsstraße“ (ISES) und die Nahverkehrsanbinung nicht zur Disposition stehen. Lakonisch stellt Hüneke fest, „bei dem städtebaulichen Wettbewerb handelt es sich nur um einen Architekturwettbewerb“.
Das wäre peinlich. Denn das neue Stadtzentrum erfüllt eine wichtige städtebauliche und funktionale Klammerfunktion zwischen völlig unterschiedlichen Räumen, von der Altstadt und der Speicherstadt mit künftigem Kongreßviertel an der Havel bis zum Regierungsviertel und der Plattensiedlung Zentrum Ost zu. Auf Computersimulationen präsentiert sich das Potsdam-Center aber als eine betonierte Funktionsinsel ohne urbane Verwurzelung.
Der planerische Blick aus der Betonwüste auf das urbane Umfeld war lange hinfällig, denn ohne die Altstadt fehlt der historischen Innenstadt das Gesicht und die Möglichkeit sich gegenüber dem Giganten mit Gleisanschluß zu behaupten. Aber bisher fehlen klare Vorstellungen über die Nutzungsinhalte. Der Potsdamer Architekt Günther Vandenhertz, Mitglied der „Aktionsgemeinschaft“, warf der Stadt während des Unesco- Symposiums im November 1996 vor, „durch Konzeptionslosigkeit, die Chance verschlafen zu haben, zentrale urbane Magneten wie Theater, Universität, Bibliothek etc. im Altstadtbereich anzusiedeln“.
Auch in ökonomischer Hinsicht befürchten der Sanierungsträger und Handelsverbände, daß das neue Stadtquartier mit Geschäften, Wohnungen, Hotel, allein 118.000 Quadratmeter Dienstleistungsfläche und Multiplex-Kino die historische City zum touristischen Freilichtmuseum degradieren könnte. Stadtbaudirektor Richard Röhrbein hingegen sieht im Potsdam-Center eine „Entlastungs- und Ergänzungsfunktion für die kleinteilige Innenstadt“, in der großflächige Dienstleistungseinrichtungen keinen Platz haben.
Doch das Potsdam-Center wirft unverkennbar seine Schatten voraus. Peek & Cloppenburg hat sein Bauinteresse in der City erst Anfang April aufgekündigt. Nun sucht Baudezernent Detlef Kaminski nach neuen Anbietern, um „im Fall X etwas in der Schublade zu haben“. Der Fall X könnte bei der Karstadt AG die Stadt kalt erwischen. Der Warenhausgigant läßt derzeit seine Planung für das Jugendstilkaufhaus in der City ruhen und tüftelt an einem „neuen erfolgversprechenden Nutzungskonzept“. Mit Blick auf die Bahnhofsstadt hat man aus der Karstadtzentrale in Essen „zu bedenken gegeben, wieviel Einkaufsfläche Potsdam verträgt“. Daß die Einzelhandelsfläche des Bahnhofsquartiers „nicht exakt definiert ist“, wie IHK-Geschäftsführer Jörg Teich klagt, irritiert um so mehr. Die neueste Arithmetik der PCE weist statt der vereinbarten 14.000 nun 20.000 Quadratmeter und „noch ein großes Textilkaufhaus“ aus. Hüneke sieht darin ein Indiz, daß die gewinnbringende Vermarktung der Grundstücke wegen des Überangebots an Wohn- und vor allem Dienstleistungsfläche im Großraum Berlin nicht funktioniert.
Vermarktungsprobleme hat inzwischen auch Roland-Ernst-Geschäftsführer Heidkamp eingestanden und erklärt, er könne sich darum eine „Entwicklung in Etappen mit zwei Jahren Pause“ vorstellen. Sollte das Projekt als milliardenschwere Investitonsruine enden, wäre das städteplanerisch ein Fiasko. Das wissen auch die Investoren. Also wurden Ende 1996 schnell die Teilbaugenehmigungen erteilt, um noch die auslaufenden Steuervergünstigungen nach dem Gebietsförderungsgesetz zu sichern und dadurch den Absprung etwa der Ramada-Gruppe als Hotelinvestor zu verhindern.
Nicht nur die Aktionsgemeinschaft spricht dem Vorhaben „die notwendige materielle Planreife“ ab. Ein Grund ist die Verkehrserschließung. Denn das gesamte neue Stadtquartier mit ICE-Anschluß, für das die Bahn täglich 25.000 Fahrgäste erwartet, bleibt vom öffentlichen Nahverkehr abgeschnitten. Statt einer sinnvollen Tramtrasse von der Langen Brücke über den Boulevard des Potsdam-Centers nach Babelsberg, sollen Tram und Busse die Neustadt am Hintereingang anfahren. Die jetzige Lösung führe zur Auflösung von zwei wichtigen Haltestellen, die Tram müsse dreimal eine Straße kreuzen, und die öffentlichen Verkehrsmittel würden sich selbst und den übrigen Verkehr blockieren, so Volkmar Wagner, Marketingleiter der Verkehrsbetriebe Potsdam (ViP).
Die ISES, die nach Kaminski eigentlich die Innenstadt vom Durchgangsverkehr freihalten soll, droht mit der Anbindung an die Dortustraße die Verkehrsströme in die City zu lenken. „Die geplante Zweispurigkeit führt ins Verkehrschaos“, so Wolf-Dieter Holtz von der Bürgerinitiative Kiez-/Dortustraße und widerspreche der angestrebten Verkehrsberuhigung der City. Über solche Mängel obsiegt bei Baudezernent Detlef Kaminski der „Realistätssinn“, der ihm sage, daß „eine Kommune nicht alle fünf Jahre die Chance zu einer Milliardeninvestition“ bekomme. Daß der überwiegende Teil der Bürgerschaft gegen das Potsdam-Center in der jetzigen Form ist, gibt Kaminski nicht zu denken. Ob die Unesco sich nur mit ästhetischen Korrekturen zufriedengibt, bleibt abzuwarten. Ansgar Oswald
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