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Das Promi-Prinzip

■ Kohl-Sause in Baden-Baden: Diesmal verleiht der Unternehmer Karlheinz Kögel seinen "Deutschen Medienpreis" an Boris Jelzin. Warum, weiß so recht niemand

Wenn Kanzlerberater Andreas Fritzenkötter morgens in sein Büro kommt, findet er auf seinem Schreibtisch einen Computerausdruck, dem er genau entnehmen kann, wie oft und wie lange sein Chef am Vortag über den Bildschirm geflimmert ist. Und noch wichtiger: welcher Sender negativ über Kohl berichtet hat.

Karlheinz Kögel macht's möglich. Alles, was sich irgendwie messen läßt, hat der Datendealer im Angebot. Seine Firma Media Control liefert der Hitparade die Charts, Focus und Spiegel die Bestsellerlisten und den Sendern die demographische Aufschlüsselung ihrer Einschaltquoten.

Doch der ehemalige SWF-Popredakteur Kögel hat noch mehr zu bieten: Im gleichen Jahr (1976) wie Media Control gründete er das Reiseunternehmen „Medico“ – benannt nach seiner damaligen Verlobten Paola del Medico, die es später zum Spaßvogel Felix zog – und spezialisierte sich auf Brasilienreisen. 1987 hatte Kögel dann seine bislang beste Idee: den Ticket-Verramscher L'tur („Nix wie weg“), mit dem er heute ca. zwei Drittel seines 300-Millionen-Umsatzes macht.

Als Aperitif einen Bruderkuß im Kurpark

„Ich sauge alle Informationen auf wie ein Schwamm“, sagt Kögel, neben dessen Schreibtisch ein Computer steht, mit dem er sich jederzeit in alle L'tur-Filialen Europas einklinken kann. So erfährt er zum Beispiel, wann in Berlin ein Ticket nach Mallorca über den Tisch geht oder ob die Düsseldorfer Filiale pünktlich geöffnet wurde. Kommen die Kollegen öfter mal zu spät, „gibt es einen aufs Dach“, sagt ein Mitarbeiter – und es klingt nicht so, als hätte er irgendwelche Zweifel an Kögels Praktiken.

Der Hobbypilot und Multiunternehmer ist halt einer mit Ideen, und nirgendwo kommen Ideen besser an als bei den emsigen Badenern. Ein „Schaffer“ sei der 50jährige – einer, der es aus eigener Kraft zu einem ansehnlichen Häusle über der Stadt gebracht hat und dem Kurort jedes Jahr mit der Verleihung des „Deutschen Medienpreises“ ein wenig Glamour verschafft. Wobei ihm sein guter Draht ins Kanzleramt hilft: Als Kohl Duzfreund Boris im letzten Herbst besuchte, soll der Kögels Einladung aus der Tasche gezogen haben, woraufhin ihm der Kanzler wärmstens versprach: „Wenn du wieder gesund bist, machen wir in Baden-Baden eines Sause.“

Da wollen auch die Badener keine Stimmungstöter sein. „Der Bruderkuß im Kurpark ist auf die Minute terminiert“, jubelt das Badische Tagblatt, und auch im Rathaus herrscht vorbehaltlose Vorfreude: „Die Kriterien der Preisverleihung sind Sache von Media Control“, sagt Hans-Jürgen Schnur, Referent des Oberbürgermeisters. Im übrigen seien ihm keine Stimmen bekannt, die sich negativ über die Preisvergabe geäußert hätten.

Erstaunlich, denn seit Wochen regt sich massiver Widerstand im beschaulichen Baden-Baden. „Eine perverse Instinktlosigkeit“ sei die Verleihung des „Deutschen Medienpreises“ 1996 durch Media Control an den russischen Präsidenten Boris, zürnt der Bundesvorsitzende der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, und fragt sich, ob Jelzin vielleicht für den Mord an 90.000 Tschetschenen ausgezeichnet würde. Auch amnesty international will anläßlich der offiziellen Verleihung morgen abend demonstrieren – mit blutigen Jelzin-Masken und einer Mahnwache.

Viele Bürger der Stadt sehen den Rummel ebenfalls kritisch: Immerhin wird Baden-Baden jedes Jahr zur Verleihung von Sicherheitsbeamten überschwemmt, die traditionsgemäß die Turnhallen der Stadt zu Übernachtungszwecken akquirieren und sämtliche Gullydeckel verplomben, damit sich die Ehrengäste in Sicherheit wiegen können. Schließlich bekommt so einen Preis, gegen den sich Goldene Kamera und Bambi wie Blechspielzeug ausnehmen, nicht jeder – und schon gar nicht „Krethi und Plethi aus der Showbranche“, wie der Spiegel befand. Und der muß es wissen, sitzt doch Chefredakteur Stefan Aust neben Helmut Markwort und Bild- Chef Claus Larass mit in der zehnköpfigen Jury, die jedes Jahr aufs neue fragt: Welchen Promi hätten's denn gern? Am liebsten sind Kögel die Spezln vom Kanzler, nachdem der 1993 höchstpersönlich den ersten Preis bekam – quasi als Initiationsritus.

Bunte Buttons für den Club der „Top 100“

Doch viel Glück bringt der badische Wanderpokal anscheinend nicht: François Mitterrand, der 1994 geehrt wurde, lebte bekanntlich nicht mehr lang, und im Jahr darauf fiel Preisträger Rabin einem Attentat zum Opfer. Auch dieses Mal hat Karlheinz Kögel wieder ordentlich danebengegriffen: Erst mußte Gewinner Boris Jelzin den Termin wegen seiner Herzoperation absagen – nun stören Demonstranten den Partyspaß.

Die Gäste werden die Proteste freilich kaum stören. Gut abgeschirmt gelangen sie zur Villa des Internationalen Clubs, der sonst die berühmten Pferderennen ausrichtet. Dort wird man zunächst Kohls Laudatio auf seinen Sauna- Kumpel lauschen, um sich anschließend am Buffet zu laben. Und damit auch niemandem die Exklusivität der Veranstaltung entgeht, werden Buttons mit der Aufschrift „Top 100“ verteilt. Zu denen gehören Politikergrößen wie Schröder und Lafontaine genauso wie die Großwildjäger aus der Medienbranche: RTL-Chef Helmut Thoma, Kirch-Sprecher Gottfried Zmeck und Sat.1-Programmchef Fred Kogel. Der Rest der Gästeliste wird geheimgehalten, nur soviel steht fest: Frauen sind kaum dabei. Letztes Jahr durften gerade mal vier dabeisein, darunter Kohls Bürovorsteherin Juliane Weber und die ZDF-Info-Domina Nina Ruge. Auch das wird wahrscheinlich ausgewürfelt. Oliver Gehrs

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