■ Schlagloch
: Wie "Bild" Kanzler- kandidaten (fertig)macht Von Friedrich Küppersbusch

„Wenn ich so werde, wie Scharping mich haben will, läßt meine Frau sich scheiden.“ Gerhard Schröder

im August 95

in „Bild am Sonntag“

Wenn nicht, dann auch. Scharping mag sich Schröder weniger ehrgeizig und brünftig gewünscht haben, Superhillu eher mehr – Schröder selbst jedenfalls gab sich die Überdoris. Das war nun wieder auch nicht recht: Kurz nach dem großen Bild am Sonntag-Partnerschaftsinterview, noch kürzer nach dem vielbeachteten Stern-Doppelinterview verlautete aus der Hannoveraner Staatskanzlei das Ende der deutschen Clintonade „Gerd & Hillu“. Die Trennung wurde so professionell und schnell publiziert wie alle anderen Ehedetails zuvor. Treffend trocken bilanzierte die Woche im März 96: „Das Ende eines Profi-Paares.“

Und das sind auch die großen drei Schröder-Organe. Auf das Suchwort „Schröder/nur Überschriften ab 95/Wochenblätter“ spuckt das stets wohlsortierte WDR-Pressearchiv 68 große Artikel und Interviews aus, Meldungen nicht mitgerechnet. Nur auf Platz4: der rechtspoppige Focus. Platz3 mit sieben Beiträgen: der Stern, auf 2 mit neun Schröders die Hamburger Woche. Und ganz vorne, Platz1 mit zehn Beiträgen: die Bild am Sonntag. Auf den ersten Blick schon erstaunlich, daß der konservative Monopolist sich des vermeintlich gefährlichsten Sozialdemokraten so ausführlich annimmt. Auf den zweiten Blick noch überraschender, daß alle BamS-Beiträge mindestens neutral, zumeist positiv-wohlwollend auftreten. Auf den dritten Blick schon fast unheimlich: Sieben der elf Beiträge sind Wortlaut-Interviews – die begehrteste Form, die ein Blatt einem Politiker einräumen kann. Man setzt sich zusammen, der Journalist fettet die Abschrift an, die Pressestelle liest gegen, bittet um Streichung, kann gar mit Nichtautorisierung drohen: Beim politischen Interview ist ohne Übertreibung meist von einer Autorenleistung des Interviewten auszugehen. Daß es interviewförmig getarnt ist, hebt es vom erkennbaren Kommentar noch einmal ab.

Daß die Bild-Familie der Laufkundschaft eher nach dem Munde schreiben muß als Abonnementzeitungen, ist eine Binse seit Wallraff: Mehr Sozis als Christdemokraten schreiben sie und lesen sie, heißt es. Diesem Anspruch genügte man aber auch, ließe man Lafontaine plaudern, Scharping hochleben, Simonis lobpreisen. Aber Schröder muß es sein. „Nur Schröder schlägt Kohl“, sekundiert die Woche, in ihrer diesbezüglichen Treue gelegentlich gern als „Zentralorgan der niedersächsischen Landesregierung“ hochgenommen. Allerdings stammen die neun Schröder-Beiträge aus acht verschiedenen Federn, während für die BamS in sieben von acht Fällen Kollege Helmut Böger den MP befragt. Über einen persönlichen Zugang zum Kanzlerkandidatenkandidaten verfügt beim Stern offenbar Ulrike Posche, die für drei halbprivate Reportagen und Gespräche verantwortlich zeichnet.

Die Anekdote, wie Schröder einmal nachts am Gitter des Kanzleramtes rüttelte, „ich will hier rein“ brüllend, haben sie alle mal erzählt. Oder die, wie man bei der Hannover-Messe zusammensaß und Kohl auf einem Bierdeckel dekretierte „Schröder tritt 98 an“ und Birgit Breuel das runde Dokument in ihren Tresor wegschloß. Er will es eben werden, und das zeichnet einen Kandidaten aus, der von Kohl gelernt hat. Seit Kohl ist bedingungsloses Antretenwollen und rücksichtsloses Kanzlerseinwollen eine politische Qualität.

Vielleicht keine sozialdemokratische. Bei der Bundespräsidentenwahl 94 hatten die Sozis es eine Pause lang in der Hand: Rau hätte nach dem ersten Wahlgang zurückziehen, die SPD Hamm-Brücher wählen müssen. Fertig wäre das Signal gewesen, das Scharping hätte retten können. Hätte, wäre, könnte. Scharping selbst allerdings war gegenüber Rau verpflichtet: „Lebensplanung“ hieß es, gerade wie heute bei Schröder. Außerdem hatte Scharping die Mitgliederbefragung vor allem im Rau-Sprengel „westliches Westfalen“ gewonnen. Das wird zwar immer dementiert, aber Schröder wird schon wissen, warum er nun gleich drei Promo-Wochenenden im Ruhrgebiet verbringt. BamS belohnt das mit einem schönen großen Interview, der Stern mit einer Reportage („Tribun in Fesseln“). Die Woche hält sich nicht mit Regionalem auf und schießt den erwähnten „Nur Schröder schlägt Kohl“-Titel ab.

Solch ein eindeutiges Engagement wäre für die altehrwürdige Zeit eine Todsünde. Für den Spiegel, immer hart am Rande zum freiverkäuflichen Verfassungsorgan, eine große Überwindung, für den Focus schlicht die falsche Richtung. Für die kleine, feine, aber zu wenig beachtete Woche also ist es, noch bevor man inhaltlich diskutiert, ganz einfach eine Marktlücke. Für den Stern – Blattmotto: „Heldenverehrung, aber investigativ, und Titten“ – könnte man einen Politiker designen lassen: Knackiger Typ, Schlag bei den Mädels, bißchen was Privates und politisch irgendwie links oder auch nicht, hieße die Vorgabe. Das Resultat käme aus dem Reagenzrohr gekrabbelt und könnte schon „Ich bin der Gerd, ich will Kanzler werden“ sagen. Bei Bild am Sonntag schließlich läßt sich die lange Tradition nachzeichnen, daß die, her masters voice, immer gerade den Sozi am tollsten findet, der den amtierenden Spitzenmann kritisiert. Als Vogel Parteichef war, wurden die Enkel gefeiert, als es Engholm wurde, lobte Kohl Scharpings Verdienste in den Solidarpaktgesprächen, als es Scharping war, wurden Lafontaine und Schröder gehypt, und nun sind nur noch zwei über, und das Spielchen geht weiter.

Setzt Lafontaine sich jetzt bald die Krone auf, weiß er, daß er von der Schröder-Presse anderthalb Jahre durchgemobbt wird. Wird Schröder bald nominiert, riskiert die SPD, schon mit der Niedersachsen-Wahl zu scheitern. Immerhin adaptiert Christian Wulff das Schröder-Prinzip schon recht gekonnt: „Waigel soll zurücktreten“, tönt der Herausforderer. Das sorgt für „Querdenker“-Schlagzeilen und kostet nichts. Passiert erst mal gar nichts bei der SPD, wird man sie für schwach halten. Und wird es, egal wann, Schröder – wird er genauso niedergeschrieben werden wie der Scharping, der mal als sicherer Gewinner ins Wahljahr 94 gestartet war. Denn plötzlich mag es eine Marktlücke sein, Schröder zu dissen. Plötzlich mag Oskar mit Gattin, Baby, Schicksalsschlag Attentat und überhaupt die prallere Personalie sein. Und schließlich mag es, ganz banal, der BamS etwas langweilig scheinen, immer nur Schröder zu loben.

Verfahren, die Kiste. Gut gemacht von Kohl. Sicher ist nur: Meinungsumfragen und Medienimage geben keine Antworten her. Sich an der Schröder-Konjunktur zu besaufen, kann böse katern. Gestünde Rau, daß er damals einen Fehler gemacht hat, daß Karriereplanung nicht über dem politischen Ziel rangieren sollte, wäre der SPD ein bißchen geholfen. Würde Schröder der Versuchung mal ein halbes Jahr widerstehen, wäre er nicht Schröder. Aber der SPD auch geholfen. Wenn Schröder so würde, wie die Medien ihn haben wollen, läßt die SPD sich scheiden. Wenn Schröder so würde, wie die SPD ihn haben will, lassen die Medien sich scheiden.