: Blüm darf sich bei der Rente freuen
■ Im Grundsatz billigen die Fraktionsspitzen der Koalition die Rentenreform von Bundesarbeitsminister Blüm. Bis wann das Rentenniveau abgesenkt werden soll, bliebt aber eine Interpretationsfrage
Berlin (taz) – Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) kann frohlocken. Seine Rentenreform ist weitgehend abgesegnet. „Im Grundsatz“, so hieß es gestern, hätten sich die Koalitionsspitzen über die Eckpunkte der Reform verständigt. Zwar zeigte sich die FDP noch zögerlich. Doch ihre ursprünglichen Bedenken gegen einen zusätzlichen jährlichen Bundeszuschuß von rund 15 Milliarden Mark in die Rentenkasse scheinen nur noch taktischer Natur zu sein. Eine endgültige Entscheidung soll am Montag vom FDP-Bundesvorstand in Berlin gefällt werden.
Der 15-Milliarden-Zuschuß, der die derzeitigen Rentenbeiträge von 20,3 Prozent um einen Prozentpunkt drücken soll, wird aller Voraussicht nach über Verbrauchssteuern finanziert – möglicherweise über die Anhebung der Mehrwertsteuer.
Mit einem Kompromiß entledigten sich CDU/CSU und Liberale des monatelangen Streitpunkts, bis zu welchem Jahr das derzeitige Rentenniveau von derzeit 70 auf 64 Prozent abgesenkt wird. Diese theoretische Größe gilt allerdings nur für Arbeitnehmer, die 45 Jahre lang auch Beiträge in die Rentenkasse gezahlt haben. Blüm hatte für eine langsame Rentenabsenkung das Jahr 2030 ins Visier genommen, die FDP und Teile der Union hingegen das Jahr 2015. Der endgültige Zeitpunkt – die Liberalen hatten eine gesetzliche Festschreibung verlangt – bleibt jetzt nur noch reine Interpretationssache: Die FDP hält nach wie vor daran fest, daß aus dem ihr vorliegenden Datenmaterial die durchschnittliche Lebenserwartung in den nächsten Jahren weitaus schneller ansteigen wird, als von Blüm angenommen. Die Liberalen gehen davon aus, daß die Lebensdauer in Zukunft um 2,4 Monate pro Lebensjahr ansteigen wird, die Rentenexperten beim Bundesarbeitsministerium sprechen hingegen von 1,7 Monaten pro Jahr. Die Folge der FDP- Rechnung wäre, daß mehr Arbeitnehmer im Rentenalter die Rentenkasse zu einem früheren Zeitpunkt belasten würden. In die Rentenformel eingebaut wird erstmals ein demographischer Faktor.
Aufatmen darf die Generation der heute fast 60jährigen. Die CSU setzte sich mit ihrer Forderung durch, daß Versicherte, die bis 1941 geboren wurden und 45 Jahre lang Rentenbeiträge entrichtet haben, auch weiterhin vor dem 65. Lebensjahr ohne finanzielle Abstriche in Rente gehen können. Alle anderen müssen pro Jahr 3,6 Prozent Abschläge hinnehmen. Verbessert werden auch die Leistungen für Kindererziehungszeiten bei der Rente: Die Bewertung pro Erziehungsjahr wird in mehreren Schritten bis zur Jahrtausendwende von derzeit 75 Prozent auf 100 Prozent eines Durchschnittseinkommens angehoben. Lob, aber auch Zurückhaltung erhielt Blüm gestern von der SPD. Zwar begrüßte Fraktionschef Rudolf Scharping die Bemühungen des Bundesarbeitsministers, lehnte aber zugleich eine Absenkung des Rentenniveaus ab. Mit dieser Formel würden Versicherte mit 30 Jahresbeiträgen lediglich das Sozialhilfeniveau erreichen. Seine Partei, so Scharping, sei zwar „gesprächsbereit, aber nicht absegnungsbereit“. Severin Weiland
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