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Feuilletonleiden

■ Journalist, Literat - ach was! Ein Heidelberger Symposium zu Joseph Roth mit Frühling, Rowohlt und Milchkaffee

Schöner wär's, über Heidelberg zu schreiben, wie es da ist im Frühling und wie der Geist dort schwebt über der Stadt und dem Fluß und den Hügeln, und die Sonne scheint, und überall sitzt man und trinkt sehr schaumigen Milchkaffee, und alle kennen sich und schreiben Romane oder promovieren über den „Schulatlas im Wandel der Geschichte“ und sind ganz komisch freundlich („Lange in Berlin gelebt?“ wird man gefragt, wenn man über diese Freundlichkeit staunt).

Am Abend kommt dann zum Beispiel Harry Rowohlt ins Deutsch-Amerikanische Institut und hält eine sogenannte Lesung ab, was bei Rowohlt, dem einzigen „unorthodoxen Element“ des Zeit- Feuilletons und Übersetzer irischer Trinkerliteratur aller Art, jedoch mehr ein anekdotisches Erzählen, plötzliches Sicherinnern und öffentliches Trinkgelage ist. Wenn man möchte, kann man hier schon die erste Parallele zu Joseph Roth ziehen, der auch gern trank und viel. Die zweite Parallele wäre Rowohlts programmatischer Einwurf: „Nee, das hab ich alles erlebt. Mir fällt ja nix ein“, sagte Rowohlt auf die Frage, ob er sich alles ausgedacht habe. Bei Roth hieß das so: „Mein Stil ist nur eine genaue Kenntnis des Zustandes.“ Diese genaue Kenntnis des Zustandes („Ich bin durchsättigt vom Saargebiet“, schreibt Roth von einer Reportagereise aus Saarbrücken) ist eines der hervorragenden Merkmale der journalistischen Texte Joseph Roths. Mit diesen und mit den Verbindungen zwischen Roths publizistischen Arbeiten und seinem Romanwerk beschäftigte sich Ende letzter Woche ein von der Universität Heidelberg veranstaltetes internationales Symposium unter dem Titel „Joseph Roth – Journalismus und Literatur“.

„Entgrenzung“ hieß das Stichwort, das in diesem Zusammenhang häufig fiel. Eine Entgrenzung zwischen Journalismus und Dichtung bis hin zu einer Gleichbewertung von Rang und Aufgabe von Journalist und Schriftsteller („Der Journalist muß ein Jahrhundertschriftsteller sein“, heißt es bei Roth), worauf vor allem Almut Todorow aus Tübingen hinwies. Johannes Preschl (Hechingen) stellte das Ineinanderübergehen von journalistischen Texten und „dichterischen“ anhand einer genauen Untersuchung von Roths Roman „Flucht ohne Ende“ vor.

Aber es gab auch ganz anderes: Gabor Kerekes aus Budapest wies auf die manische Ungarn-Besessenheit, ja den Ungarn-Haß Joseph Roths hin. Mark Gelber (Beer-Sheva) beschrieb in seinem Vortrag die vollständige Vermeidung beziehungsweise Christianisierung aller jüdischen Begriffe in Roths „Hiob“-Roman, wobei man darüber stritt, ob Roth damit eine Verkitschung ostjüdischer Lebenswelt betrieben habe oder diese Vermeidung Strategie war, einem in der Mehrheit antisemitisch eingestellten deutschen Lesepublikum jüdisches Leben näherzubringen. Eckart Früh (Wien) versuchte Roths spätem Monarchismus den Anstrich des Irrationalen und Exotischen zu nehmen, indem er ähnliche Gesinnungswandel, zumindest in der Form eines verstärkten österreichischen Patriotismus, als letzte Rettung gegen den deutschen Faschismus auch bei Ernst Krenek und Karl Kraus konstatierte.

Von Politik – beispielsweise dem Klischee vom Wandel des Sozialisten Roth zum Monarchisten – war ansonsten kaum die Rede. Denn es gibt immer wieder Neues zu entdecken bei Joseph Roth, was auch Frank Schirrmacher (FAZ) so sah: „Das habe ich jetzt bei Roth gelernt“, meinte Schirrmacher in seinem Vortrag über „Joseph Roth und die Frankfurter Zeitung“ (FZ), die Vorgängerin der FAZ, „warum wir so leiden unter der Nachrichtenredaktion in unserer Zeitung.“ Denn schon damals zeichnete sich die Frankfurter Zeitung durch eine streng konservative Nachrichtenredaktion und ein linksliberales Feuilleton (linksradikal hat Hermann Kesten es sogar einmal genannt) aus, in dem unter anderem Walter Benjamin publizierte und Siegfried Kracauer und Bernhard von Brentano feste Redakteursposten bekleideten. Roths Abberufung aus Frankreich, der schwerste Rückschlag in der Karriere des Journalisten, war ein Politikum („zuwenig Versailles, zuviel Marseille“ sei der Tenor der Kritik der national-konservativen Redaktionsmehrheit gewesen). Schirrmacher berichtet auch von dem massiven Druck, der zum Beispiel von der I.G. Farben, von der die FZ seit Mitte der zwanziger Jahre finanziell abhängig war, ausgeübt wurde, den renommierten Journalisten zu entlassen, nachdem dieser die Leuna-Werke in einer apokalyptischen früh-radikalökologischen Vision als endzeitbringenden Naturzerstörer gegeißelt hatte. Die Feuilletonredaktion wehrte diesen Angriff damals ab, obwohl Wirtschafts- und Nachrichtenredaktion um die dringende Überprüfung baten, „ob bei Roth nicht ein Charakterfehler vorliege“, und ebenfalls seine Entlassung forderten.

Roth schrieb weiter und erschrieb sich mit der Zeit eine so machtvolle Position innerhalb der Zeitung, daß er als freier Mitarbeiter bald nicht nur das dreifache Gehalt des damaligen Literaturchefs bekam, sondern sich bald auch Mitspracherechte über Plazierung und Kürzungen seiner Artikel bis hin zu Fragen des Layouts und typographischen Details einräumen ließ. Die selbstbewußten Briefe, die Joseph Roth an den damaligen Feuilletonchef Benno Reifenberg sandte, sind nach Schirrmachers Worten jedenfalls „einmalig in der Zeitungsgeschichte“.

Nach drei Tagen und insgesamt 18 Roth-Vorträgen war man trotz allem nicht ganz zufrieden. Denn die versammelten Roth-Forscher waren sich darüber einig, daß das Werk Joseph Roths dringend einer kritischen Gesamtausgabe und hier vor allem zuallererst einer vollständigen Briefausgabe bedarf. Doch daran scheint der Rechte-Inhaber Kiepenheuer, dessen zuständiger Lektor vorsichtshalber gar nicht erst angereist war, wenig Interesse zu haben.

So beschloß man noch am Ende beim Italiener, eine Joseph-Roth- Gesellschaft zu gründen, um mehr Druck ausüben zu können und vielleicht Gelder zu finden, um noch vor dem Jahr 2009, wenn die Rechte an Roths Werken auslaufen und sich gewiß mehrere Verlage bereit finden werden, die neue Roth-Ausgabe möglichst bald zu realisieren. Volker Weidermann

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