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Die Franzosen könnten vorzeitig zu den Wahlurnen gerufen werden

■ Die Gründe für vorgezogene Parlamentswahlen sind äußerst vielschichtig. Entscheidung fällt kommende Woche

Paris (taz) – Parlamentsauflösung? Regierungsumbildung? Neuwahlen? Bislang sind das in Paris nichts weiter als Gerüchte. Aber sie bestimmen dennoch seit Wochen die politische Bühne. In den vergangenen Tagen intensivierten die Hauptdarsteller der Show, das Duo Chirac–Juppé, ihre Hintergrundgespräche und geheimnisvollen Andeutungen. Und prompt wurde aus dem zuvor als „vertraulich“ gehandelten Tip: „Der Staatspräsident denkt nach“, die Beinahegewißheit von Spitzenpolitikern, Medien, Bankern und Wissenschaftlern: Die Franzosen werden Anfang Juni schon wieder landesweit an die Wahlurnen gebeten. Die Gründe für Parlamentswahlen ein knappes Jahr vor dem regulären Termin im Frühjahr 1998 sind ebenso vielschichtig wie schwer nachvollziehbar. Sie reichen von wahltaktischem Kalkül über europapolitische Erwägungen bis hin zu der persönlichen Karriereplanung von Präsident Chirac, der nach Ablauf seines siebenjährigen Mandats im Jahr 2002 erneut kandidieren könnte.

Die französische Verfassung gibt dem Staatspräsidenten die Vollmacht, das Parlament in einer Krise aufzulösen. De Gaulle hat zweimal davon Gebrauch gemacht. Und auch Mitterrand hat die Möglichkeit 1981 und 1988 in Anspruch genommen, als er sich von konservativen Mehrheiten im Parlament blockiert fühlte.

Die Regierung könnte auf diesem Wege gegenwärtig ein paar unliebsam gewordene Figuren loswerden, darunter den Finanz- und den Sozialminister, denen Ermittlungsverfahren wegen Parteispendenskandalen bevorstehen. Sie könnte auch die laut Meinungsumfragen gestiegene Sympathiekurve für die Konservativen nutzen. Präsident Chirac, dessen Entscheidung für die nächste Woche erwartet wird, könnte es mit vorgezogenen Neuwahlen gelingen, die Debatte über den Euro, die im Frühjahr 1995 zwangsläufig Hauptthema sein wird, etwas aus der politischen Entscheidung herauszuhalten.

Ein Bericht des Finanzministeriums, wonach Frankreich im vergangenen Jahr sein Budget weit überzogen hat, kam den Parlamentsauflösungsfreunden in dieser Woche zu Hilfe. Danach hat Frankreich 1996 ein Defizit von 3,8 Prozent statt der im Maastrichter Vertrag vorgesehenen 3 Prozent erwirschaftet. Konsequenterweise müßte die Regierung nun einen noch rigoroseren Sparkurs fahren – was ihr knapp ein Jahr vor den regulären Wahlen einen schweren Stand verschaffen würde.

Die französischen Sozialisten sind zwar organisatorisch auf Wahlen vorbereitet – unter anderem haben sie die 577 Wahlkreise zu 30 Prozent an Frauen und zu einem guten Dutzend an grüne Politiker vergeben –, doch politisch haben sie sich noch nicht von dem Mitterrand-Effekt erholt. Parteichef Lionel Jospin genießt den Ruf eines unverläßlichen Zauderers, zahlreiche andere sozialistische Spitzenpolitiker müssen sich immer noch wegen dunkler Geldaffären vor Gericht verantworten.

Die Kommunisten ihrerseits rühren gegenwärtig die Werbetrommel für ein Referendum über den Euro, das eigentlich bis in diesen Sommer laufen und das Terrain für die Parlamentswahlen vorbereiten soll. Vorgezogene Neuwahlen kämen von daher auch ihnen in die Quere. Dorothea Hahn

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