: Beim Gipfelsturm in Baden-Baden
Jelzini oder die Frage, wer mit wem feiert, wenn in einer betulichen Lebensabendstadt ein siecher Russe von einem Provinzunternehmer den absurden „Deutschen Medienpreis“ bekommt ■ Aus Baden-Baden Bernd Müllender
Für einen Intercity-Halt im Stundentakt ist die unnötig namensdoppelige Kleinstadt zu unbedeutend; jeder zweite IC saust hier einfach durch. Doch für „eine Sause“ (Helmut Kohl) mit seinem Saunafreund und Strickjackenkumpel Boris ward Baden-Baden vom Kanzler als geschichtswürdig genug empfunden. Jelzin war zudem ausgeguckt worden, hier den „Deutschen Medienpreis“ zu empfangen. Und so kam er in die Provinz, und alle, alle kamen mit.
Vor allem die grüne Sicherheit, tausendfach in absurden Massenaufläufen. Hotels waren durch den Delegationstourismus komplett ausgebucht, von „kilometerlangen Wartelisten“ war die Rede. Straßenzugweise reihten sich mit High- Tech gefüllte Fünftonner, mobile Satellitenwagen mit gigantischen Schüsseln und Kameraparks quer durch den großen Kurpark. Und überall Straßensperren. Vor allem rund um Brenners Park Hotel, die Präsidentenabsteige, standortgünstig gleich neben der örtlichen „Schwarzwaldklinik“ und ihren Blutkonserven gelegen.
Nicht alle indes sind von dem Rummel begeistert. Etwa Rentnerin Luise Rother (82). Sitzt in schönster Mittagssonne am Augustaplatz und schimpft über „diesen Zirkus, all das Theater“. Nirgends komme man durch, überall Sicherheitsmenschen, „selbst auf de Weinbersch oben stehen an jede Eck Soldade“. Angucken aus der Nähe wolle sie sich die Politpromis nicht: „A was, ich seh den Jelzin doch das ganze Jahr im Fernseh.“
Sieh an! Was der Jury Grund zum Wählen war – die hohe Medienpräsenz –, ist dem Volk Grund zum Weggucken. Feiern? Kaum jemand war in der beschaulichen Lebensabendstadt zum Promi- Spannen gekommen, als Jelzin am Mittwoch abend eintraf. Bestürzt meldete die Heimatpresse: „Nur eine Handvoll Schaulustiger nahm Notiz.“
Den „Deutschen Medienpreis“ hat der Provinzfürst Karlheinz Kögel ausgelobt, Inhaber der Baden- Badener Firma „Media Control“ und Chef von Reiseverramscher l'tur. Kögel, der sich bester Kontakte ins politische Establishment rühmt, langweilt sich halt mit 400 Millionen Mark Jahresumsatz und erfand 1992 den Preis zum Frommen seines hemmungsarmen Egos.
Früher wurden Thoma, Arafat und Rabin gelockt mit dem „Preis für Präsenz, Bedeutung und Wirkung in den Medien“. Bei derart prägnanten Kriterien wäre auch Peter Hahne geeignet gewesen, Jörg Kachelmann oder Karin Tietze-Ludwig. Man könnte auch einen „Deutschen Dichterpreis“ für Telekom-Ansagerinnen (Jury: Manfred Krug) ausloben, alternativ den „Alemannischen Atem Award“ für prominente Überlebende des Vorjahres.
Baden-Baden hat eine große russische Tradition. Hier kurten und hurten, zockten und soffen sich im 19. Jahrhundert russische Großfürsten, Zaren und sonstwie Wichtige zu Tausenden durchs sommerliche Leben. Dann waren die Dauergäste siebzig Jahre lang mit badenfernem Kommunismusmachen beschäftigt. Jetzt soll die Rußland-Connection wiederaufleben. Schon an diesem Donnerstag gab es für die Einheimischen im Gasthaus Goldener Löwe den „Russischen Abend“ für „20 Mark inklusive Borschtsch-Essen“.
Reisetechnische Kontinuität ist ohnehin gewahrt. Der letzte Zar kam 1899 in einem bombensicheren Eisenbahnwaggon, der Jelzin- Clan vom Stuttgarter Flughafen in schußsicher gepanzerten Sil-Limousinen, die extra aus Moskau eingeflogen worden waren. Hubschrauben ging nicht: das Herz!
„Eine treibende Führungspersönlichkeit“ lobpreisen die Media- Controller ihren Preis-Abholer. Eher kriegstreibend, meint die Gesellschaft für bedrohte Völker und formierte sich in der Stadt zur Mahnwache – mit Jelzin- und Totenmasken. Und nannte das Preisspektakel angesichts 90.000 Toter im Tschetschenien-Krieg eine „perverse Instinktlosigkeit“. Die Masken würden aufgesetzt, „sobald Kameras kommen“, erklärte einer. Wir sehen: Auch hier alles für die Medien.
Weltenmitlenker Jelzin hinterließ einen bedauernswert siechen Eindruck. Schon beim militärischen Tschingbum der Politsause wurde er von Kohl gestützt, geführt und gedreht wie eine Puppe. Donnerstag abend zur Preisverleihung kam er immerhin ohne Hilfe aus dem Bus bis in den engen, schmucklosen Festsaal. Ein „hochangesehener Preis“ sei das, sagte er artig und nahm eine undefinierbare Kitschfigur in die Finger. „Baden-Baden hat mich bezaubert.“
Das alles verfolgten und beklatschten, bedauernswert stehend, die geladenen Kulissenstars, die Ehrengäste, die, so Media Control, „Top 100“. Das waren Leute wie die immer unvermeidlicheren Jauch und Schrowange, der unheimliche Rühe, Blüm oder Lafontaine, dazu massenhaft Medienmanager und große Fernsehfuzzis aus Intendanz und Meinungsmache wie Stolte, Markwort, selbst Bissinger.
Und da waren die Glamour- Spezln des Herrn Kögel. Heiner Lauterbach etwa, der zu den Jelzin-Protesten anmerkte, das sei „ganz lustig“, weil bei ähnlichen Veranstaltungen immer demonstriert werde. Aber er wisse, wie das alles sei mit den Menschenrechten etc: „Ich war auch schon im Knast.“ Auch Peter Maffay konnte Nachdenkliches beitragen, er wünscht sich nämlich immer „einen Dialog“, wissend, wie es in Rußland so ist: „Ich war da mal vor fünf Jahren.“
Gastgeber Kögel hatte den vermutlich bewegendsten staatsmännisch-krankenpflegerischen Großmoment seines Lebens, just als Jelzin vom Podium wollte. Da zögerte der tapperige Russenchef, aber niemand kam ihm zur Hilfe, und so stützte sich der Mann mit den fünf Bypässen vier weite Stufen lang abwärts für alle sichtbar an Kögels Schulter ab. Was sind da schon 97 l'tur-Filialen?
Eine Gruppe Journalistinnen („wir sind die society press“) sieht sich derweil den Promi-Auftrieb eher gelangweilt an. Nach ihren Hochrechnungen sind die „Top 100“ weder wirklich top noch 100. Kaum mehr als 50 von der großspurigen Gästeliste seien da und die Creme sei das wirklich nicht. Als auf einem Monitor eine Totale gezeigt wird, beginnt ihre heiße Übersichtsrecherche: „Jetzt müssen wir genau beobachten, wer mit wem wohin losgeht, um Kontakte zu machen. Guck mal da, der Jauch und die Katarina Witt, da die Anja Kruse, Oskar nach rechts, so, so...“ Die Prominenz verschwindet in Nebenräumlichkeiten.
Der Aufmarsch der Ehrengäste „Top 100“ war, unter realsatirischen Gesichtspunkten, eine sehr frische Inszenierung. Helmut Dietl, der gleichzeitig nebenan im Theater einen Filmpreis abholte, hätte hier die klasse Vorlage für ein neues Society-Epos gefunden: „Jelzini“.
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