: Von der Avantgarde gebastelt
■ Künstlerbücher des Lyrikers Fernando Arrabal und französischer Maler in der Staatsbibliothek
Es war ein brüllend lauter Satz, der Fernando Arrabal international berühmt machte, auch wenn er nur zu lesen war. „Ich scheiße auf Gott, das Vaterland und den ganzen Rest“, hatte der seit 1955 in Paris lebende spanische Schriftsteller 1967 auf einer Lesetournee durch sein Heimatland als Widmung in ein Buch geschrieben. Was anderswo als avantgardistische Selbstinszenierung hätte durchgehen mögen, war im franquistischen Spanien mehr als Blasphemie. Arrabal wurde verhaftet, interniert und nur die konzertierte Intervention illustrer Kollegen wie Beckett, Ionesco und Peter Weiss konnten den repressiven Staat zur Freilassung des Autors bewegen.
Berühmte Freunde hat Arrabal bis heute, doch sind seine Äußerungen leiser geworden. Die Hamburger Staatsbibliothek stellt jetzt jüngere Werke des Dramatikers, Romanciers und Filmemachers aus, die der Öffentlichkeit kaum bekannt sind und auch für sie nie gedacht waren: „Künstlerbücher“, Kollektivschöpfungen des Lyrikers Arrabal mit befreundeten Malern der Pariser Szene. Semiprivate Dialoge zwischen Sprache und bildender Kunst, zwischen Versen und Farbe, Aphorismen und grafischer Gestaltung. „Kunst antwortet auf Kunst“, erklärt Arrabal das Verfahren. Zwanzig Jahre stand er mit Jean Miotte, Julius Baltazar, Antonio Saura, Salvador Dalí und anderen Malern im Austausch. Ihre Korrespondenz ist manifestiert in bunten Blättern zum Anfassen, meist lose geheftet und als Unikate oder in Kleinstauflage erschienen.
„Ein Buch ist niemals vertraulich genug. Nichts hat für mich soviel Wert wie die in drei Exemplaren hergestellten Bücher: eines für den Autor, das zweite für den Künstler und das dritte für die Nationalbibliothek“, behauptet der 67jährige, dessen Dramen und Romane erfolgreich massenmedial vertrieben werden. Den Vorwurf einer elitären Haltung ließ er bei der Ausstellungseröffnung in Hamburg nicht gelten: „Weder ich noch der Künstler noch die Bibliothek ist ein Drittel der Elite. Also kann das Buch nicht elitär sein.“
Arrabal ist ein Spieler und Verwirrung zählt bis heute zu seinen Lieblingsstrategien. „Die Geschichte hat gezeigt: Erst gab es Bibliotheken, dann Bücher, dann die Sprachverwirrung“, raunt er ins Vernissage-Publikum. Möchte man die Künstlerbücher aufgrund ihrer Einzigartigkeit und sinnlichen Textur als Gegenstücke zur industriell gefertigten Massenware Buch oder gar zum digitalem Verschwinden des Buches als solchem interpretieren, ergreift den kleinen Mann eine scheinbare Welle der Empörung: „Aber ich verachte alles Materielle!“stellt er sich mit schalkhaftem Grinsen gegen die ausgestellten Werke, „Vive le fax! Vive le internet!“
Viva la muerte ist Titel des 1970 gedrehten, ersten Films Arrabals, den das Abaton begleitend zu der Ausstellung zeigt. Stehen schon die Künstlerbücher in der Tradition des Surrealismus, stand hier Bunuels Andalusischer Hund (1929) unübersehbar Pate: ausufernde Traumsequenzen, erotische Phantasien und orgiastische Gewaltzeremonien bilden ein verstörendes Ganzes. Gleichzeitig erzählt Arrabal seine eigene Geschichte: Der junge Protagonist Fando (Koseform von Fernando) erlebt, wie die eigene Mutter den „roten Vater“bei den Franquisten denunziert; er wächst auf im Klima totaler Repression und orgiastischer Ausbrüche.
Der Film ist ein kleines cineastisches Meisterwerk, das seine brachial-betörende Wirkung besonders nach Betrachtung der kleinen und feinen Ausstellung nebenan entfaltet Christiane Kühl
Ausstellung: „Fernando Arrabal. Der Lyriker und die Künstler“, Mo-Fr 9-21, Sa 10-13 Uhr, Staatsbibliothek, bis 24. Mai
Film: „Viva la muerte“(dt.F.), heute, 17.45 Uhr, Abaton
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen