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Sprengsätze per Brieftaube

Lafontaine antwortet auf den bösen Brief von Kohl, und die Koalition beschließt, als gäbe es keinen Steuergipfel, ihr Gesetz zur Steuerreform  ■ Aus Bonn Markus Franz

Im Auge des Taifuns ist es ruhig. Gestern schien das Bundeskabinett ein solcher Ort der Ruhe zu sein. Seit Monaten dreschen Koalition und SPD bei den Steuern aufeinander ein. Streiten um die Höhe des Finanzierungslochs, um die Gegenfinanzierung, um Spitzensteuersatz und Beseitigung von Steuervergünstigungen und werfen sich gegenseitig Blockadepolitik vor.

Doch gestern schien für einen Moment alles gut. Der Pulverdampf lichtete sich, und auf einmal war das Gras auf dem Schlachtfeld nicht mehr zertrampelt, die Truppen standen unversehrt in Reih und Glied, alles schien wie vor der Schlacht, als die Koalition ihr von gegnerischen Attacken noch unbeflecktes Steuerreformkonzept vorgelegt hatte.

Das Kabinett pfiff einfach auf die vermeintlichen Geländegewinne des Gegners und verabschiedete den Steuerreformentwurf, ohne nur eine Lehre aus dem Kampf berücksichtigt zu haben. [siehe nebenstehenden Kasten]. Es schien so, als könnte der Streit um den Ort der nächsten Friedensgespräche – Kanzleramt oder NRW- Landesvertretung – überflüssig werden, weil die Koalition den Kampf allein auf die parlamentarische Ebene verlegen will. Kanzler Kohl: „Mir reicht's.“ Doch SPD- Chef Lafontaine lenkte ein. Das Gespräch findet heute im Bundeskanzleramt statt.

Erst am Tag zuvor waren die Truppen der Koalition in schwere Bedrängnis geraten. Da hatte Bild gemeldet, die Regierung wolle die Mineralölsteuererhöhung um 18 Pfennig erhöhen, ein Mann aus den eigenen Reihen hatte ein Finanzierungsloch von 20 Milliarden Mark bemerkt und damit sogar die SPD übertrumpft. Ihr haushaltspolitischer Sprecher Karl Diller geht von einem zweistelligen Milliardenbetrag aus, ohne sich auf eine Summe festlegen zu wollen. Allein der von den Wirtschaftsinstituten prognostizierte Anstieg der Arbeitslosigkeit auf durchschnittlich 4,28 Millionen könne zu gesamtstaatlichen Kosten von etwa 16 Milliarden Mark führen. Finanzminister Waigel war in seinem Haushaltsentwurf von 3,9 Millionen Arbeitslosen ausgegangen.

Wie sollte die angeschlagene Koalition unter diesen Umständen ihren Kampf finanzieren? Sinkt nicht der Handlungsspielraum für die Nettoentlastung? Kapituliert die Koalition nicht schon durch die Erhöhung der Mineralölsteuer? Schließlich war sie angetreten, um die Steuern zu senken. Und hatte nicht der Verbündete der Union, die FDP, schon vor wenigen Monaten eine Erhöhung der Mehrwertsteuer verweigert und es dadurch zu einer ernsthaften Koalitionskrise kommen lassen?

Finanzminister Waigels Verteidigung wirkt schlapp: „Das Haushaltsloch muß eingepaßt werden“, beschied er gestern knapp und schwammig. Auf Nachfrage ließ er sich zu der Bemerkung hinreißen: „Wir müssen erst mal sehen, was die Steuerreform überhaupt kostet.“ Schließlich wolle die SPD die Nettoentlastung nicht mittragen. Hat Waigel damit schon probehalber die weiße Flagge gehißt? Ist die Nettoentlastung also doch nur Verhandlungsmasse?

Zur Zeit fliegen die Depeschen hin und her. Nach dem Brief des Kanzlers an SPD-Chef Lafontaine hat dieser gestern geantwortet. Statt Friedensangebote werden allerdings Sprengsätze ausgetauscht. Kohl beharrt auf der Senkung des Spitzensteuersatzes. Lafontaine kontert mit der Forderung nach Erhöhung des Kindergeldes. Kohl bietet die Senkung der Sozialabgaben um einen Prozentpunkt, droht aber zugleich: nur wenn die Sozialversicherungssysteme reformiert werden. Lafontaine legt eine andere Mine: Der Soli-Zuschlag soll beibehalten werden. Ansonsten die üblichen Forderungen.

Nur gut, daß die Wirtschaftsforschungsinstitute gestern festgestellt haben, daß wenigstens der Euro kommt. Deutschland, kannst ruhig schlafen gehen.

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