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Mit den Doofen ist der Herr

■ Beim 1:0 in Manchester hat Champions League-Finalist Borussia Dortmund so viel Glück, daß der als Jesus gemalte Eric Cantona „Mein Gott!“ hätte aufstöhnen müssen

Manchester (taz) – Was ist der Plural von Omen? Omina? Ömer? Auch Omen? – Jedenfalls gibt es viele gute davon an diesem 23. April. Schon um Viertel vor acht krähen einen die I-Dötzen auf der Straße an: „Sind Sie auch Dortmund-Fan?“ – Betonung auf „auch“ –, und dann singen sie was von „BVB“ und wackeln zur Schule. Die Eurowings-Stewardess, bekennender Borussia-Fan, fragt nur „Manchester?“ und kichert. Dabei ist der gelbe Schal extradezent unter der Jacke verborgen. Aber vielleicht finden sich die Dortmund- Gläubigen ja insgeheim wie früher die Christen.

Das Gros der Dortmunder Anhänger in Manchester allerdings ist problemlos zu orten. Klumpen aus Schwarz und jenem schabbeligen Neongrün, das das Vollgelb der Borussia verdrängt hat, rollen durch die Stadt. Eine erstaunliche Idee, mit grün-schwarz umwickeltem Filzschlapphut auf dem Kopf, Gamaschen bis zum Kinn, schlachteplattegroßen Winkelementen an den Fingern und mit Hemden, auf denen „Die Continentale“ steht, durch eine englische Stadt zu marschieren und dabei „Hurra, hurra, hurra, die Dortmunder sind da!“ zu skandieren.

Die lokale Bevölkerung nimmt die ästhetischen Übergriffe gelassen hin und dreht sich nur ein bißchen weg. Im Pub zitiert ein Manchester-Fan John Cleese: „Don't mention the war! Don't mention the war!“ und lacht. Das Appeasement gegenüber den Dortmundern geht sehr, sehr weit: Die britische Polizei tritt in Schwarz und Textmarkergelb an; vergessen wurde allein, auch die Polizeipferde in den Farben der Borussia anzustreichen. Im Dortmunder Block geht es derweil rituell religiös zu. Während der gewöhnliche Schlachtenbummler die heisere Stimme zu wenig melodischem Gesang erhebt, bevorzugt der gehobene Aficionado ausgefuchstere Beschwörungen. Eine junge Frau reibt wie verzückt den Bauch ihres Begleiters, dem sie die Eigenschaften eines „Glücksbuddhas“ zuspricht; ein von seiner eigenen Aufgeregtheit vollkommen aufgelöster Enddreißiger versucht ständig, sich irgendwo ein Mobiltelefon auszuborgen, um seine Fußballkneipe anzurufen, Vereinsabzeichen werden geküßt, manche bekreuzigen sich eher konventionell; jemand setzt beim Anpfiff eine „Romeo y Julieta“ in Brand, die er bis zur letzten Sekunde nicht ausgehen läßt.

Die Beschwörungen helfen. Trotz Manchesters Überlegenheit erzielt Lars Ricken das Einszunull für Dortmund (8.). Eine Woge Glück durchbrandet den Fan, zuerst einzeln, dann im Pulk: streicheln, küssen, jauchzen, die junge Dame reibt den Begleiterglücksbauch, daß man meint, er müsse Feuer fangen.

Mehr ist vom Spiel kaum zu erzählen, Ricken spielt nur noch Fehlpässe, ein Dortmunder Mittelfeld findet nicht statt, allein Libero Feiersinger behält Übersicht. Torhüter Klos eiert wie ferngesteuert durch seinen Strafraum; dreimal rettet Jürgen Kohler für den bereits geschlagenen Schlußmann. „Jürgen Kohler Fußballgott!“ behaupten weite Teile des Dortmunder Fanblocks denn auch immer wieder, aber das ist sichtlich Quatsch. Bei aller Sympathie für Kohlers athletisches Hilfe-in-der- Not-Gehechte: Gäbe es einen Gott, er kennte a) keine Schwächung durch Durchfall, wäre b) kein Ausputzer – und trüge c) unter gar keinen Umständen einen Schnäuzer.

Wenn man schon über Gott sprechen will oder auch nur über einen Fußballgott: Manchester hat ihn. Im Stadion sieht man mehr Eric-Cantona- als Manchester- United-Fahnen, der Franzose wird verehrt wie ein Kaiser und Gott – und das hat nichts von dem beflissenen Sichbücken, mit dem die deutsche Öffentlichkeit dem Parvenu Beckenbauer begegnet. Eric Cantona hat sich als Jesus in Öl malen lassen, tausendfach wird das Bild als Poster verkauft, und allen, die das blasphemisch finden, geschmacklos, hybrid oder einfach nur peinlich, sei gesagt: Es ist das blanke Understatement. Wer war Jesus? Ein aus dem Hals und unter den Achseln riechender Sektenfredie, der viel Unsinn erzählte und nach seinem Tod berühmtgeschrieben wurde, weil die Leute lieber allgemeinen Unsinn hören als einen klugen Gedanken.

Cantona dagegen hat alles, was ein Fußballer braucht: Auge und Herz. Und diesen unglaublichen Gang, der ungelenk aussieht und mit dem er doch immer wieder alle vernatzt und ein bißchen hilflos und plump aussehen läßt. Dortmund hatte so viel Glück, daß der als Jesus gemalte Cantona zu Recht hätte aufstöhnen dürfen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?!“ Den Dortmunder Schlachtruf „Ruhrpott!“ hätte man hin und wieder auch durch „Pol Pot!“ ersetzen mögen – der Mann hätte dem Gewürge ein schnelles Ende bereitet. Wiglaf Droste

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