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Aufruhr in der „Oase des Friedens“

In Makedonien schwelt ein Konflikt zwischen der albanischen Minderheit und Ultranationalisten. Brennpunkt ist die Universität von Tetovo. Die Albaner verlangen Unterricht in ihrer Muttersprache  ■ Aus Skopje Elke Koch

Öfter als gewöhnlich läuten in diesen Frühjahrstagen die Glocken in Makedoniens Hauptstadt Skopje. Grund hierfür ist jedoch nicht etwa eine erstarkende Religiosität. Vielmehr hat sich die orthodoxe Kirche hinter die Proteste gestellt, die seit Ende Februar auch die „Oase des Friedens“ auf dem Balkan erreicht haben. Tagtäglich zieht eine Menschenmenge durch die Straßen der Hauptstadt, vorbei am modernen Kuppelbau der Sveti-Kliment-Ochridski-Kirche hin zur Sobranie, dem makedonischen Parlament. Die mitgeführten Symbole lassen keinen Zweifel an der Gesinnung der Demonstrierenden aufkommen. Neben Ikonen und religiösen Emblemen dominieren nationale Devotionalien, wie etwa die Karte eines Makedonien, das bis zur Ägäis reicht, oder Banderolen mit der Aufschrift „Komititi“. Die hier unter Führung der nationalistischen Partei VMRO- DPMNE marschieren, sehen sich als Nachfolger der einstigen Befreiungskämpfer, die unter eben jenem Namen operierten. Viele von ihnen sind auffallend jung.

Die von den Veranstaltern als „friedliche Proteste“ apostrophierten Demonstrationen führen ihren Namen regelmäßig ad absurdum. Berichterstatter der Medien werden handgreiflich an der Ausübung ihrer Arbeit behindert, Absperrungen der Polizei gewaltsam durchbrochen, Steine fliegen. Bisheriger Höhepunkt waren die Ausschreitungen im Anschluß an ein sonntägliches Fußballspiel Mitte März. Anhänger des hauptstädtischen Vereins waren, nachdem sie die gegnerische Mannschaft vom Feld geprügelt hatten, gemeinsam mit den „Komititi“ in Richtung Stadtzentrum gezogen. Unter den Augen ungläubiger Passanten und einer völlig überforderten Polizei zerschlugen die Jugendlichen Schaufenster, plünderten die Auslagen und genossen sichtlich das angerichtete Chaos.

„Gluposti“ – Dummheiten, winken die Einwohner Skopjes gern ab, spricht man sie auf derartige Ereignisse an. Nicht so Mariana. Die Besitzerin einer kleinen Boutique, selbst Mutter zweier halbwüchsiger Söhne, sieht in der Demagogie der makedonischen Nationalisten derzeit die größte Gefahr für das Land. „Die Leute der VMRO sind Rattenfänger. Sie verführen unsere Kinder mit nationalistischen und antialbanischen Parolen. Den Leuten geht es wirtschaftlich nicht gut, und die Perspektiven für die Jugend sind alles andere als rosig. Das nutzen sie aus.“

Das rund zwei Millionen Einwohner zählende Land hat 240.000 registrierte Arbeitslose und eine hohe Zahl von Kurz- und Gelegenheitsarbeitern. Makedonien wird zudem von Finanzskandalen erschüttert, darunter Zusammenbrüche von nach dem Pyramidensystem operierenden Geldinstituten, in die zumindest auch lokale Politiker verwickelt sind.

Auslöser der gegenwärtigen Proteste war das „Gesetz zum Gebrauch der Nationalitätensprachen an der Pädagogischen Fakultät“, das den muttersprachlichen Unterricht für die Ausbildung albanischer Grundschullehrer regelt. Die vehementen Reaktionen aufgebrachter slavo-makedonischer Studenten und Oberschüler lassen sich an der Fassade des Justizministeriums ablesen: Die Fenster des von einem halben Dutzend Uniformierter abgesperrten Gebäudes sind bis in die oberen Stockwerke eingeschlagen. Darko hat für die Proteste volles Verständnis. „Erst hatten wir jahrhundertelang die Türken hier, jetzt wollen uns die Albaner verdrängen. Zehn Kinder haben die pro Familie.“ Der junge Mann mit den Insignien westlichen Wohlstands – Auto, Markenkleidung, Quix am Handgelenk – drischt unverdrossen Stammtischparolen. „Wir sind hier doch in Makedonien, also ist es auch logisch, daß hier Makedonisch gesprochen wird.“

Studenten- und Bürgerinitiativen sowie der extrem nationalistische Makedonische Weltkongreß erhoben Klage gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Es würde zur Legalisierung der Universität von Tetovo und damit zur Zerstückelung des Landes führen. Die Universität von Tetovo scheint das Brennglas, in dem sich die politischen Probleme Makedoniens wie im bündeln. Als im Juni 1994 Vertreter der überwiegend von Albanern bewohnten Kommunen Tetovo, Gostivar und Debar bei der Regierung um die Genehmigung zur Gründung einer Universität in der bildungspolitisch unterversorgten Region Westmakedonien nachsuchten, blieb die Antwort aus.

Statt dessen reagierte der Staat einige Monate später auf unmißverständliche Weise: Bulldozer rückten an und zerstörten die neuerrichteten Gebäude. Als am 17. Dezember 1994 dennoch die Gründungsversammlung stattfindet, ist Tetovo von 5.000 Polizisten abgeriegelt. Mitte Februar 1995 dann, einen Tag nach Vorlesungsbeginn, eskaliert der Konflikt. Die Polizei setzt Tränengas ein und schießt über die Köpfe der aufgebrachten Menge hinweg. Die Bilanz der von Staatspräsident Gligorov als „Kampf gegen den militanten Separatismus“ titulierten Aktion: Ein Toter und fast 100 Verletzte. Mehrere Initiatoren des Projektes werden festgenommen, unter ihnen Fadil Sulejmani, der Rektor der Universität.

Zwei Monate vor Ablauf seiner Strafe ist er im Februar 1997 aus der Haft entlassen worden, unter der Auflage, jeglicher Aktivitäten im Zusammenhang mit der Universität zu entsagen. Doch der Mittfünfziger mit dem schlohweißen Haarschopf, Sprachwissenschaftler und Spezialist für deutsche Phonetik, ist täglich in seinem Büro anzutreffen. Das Gesetz für die Pädagogische Fakultät hält Sulejmani für reine Makulatur. „Das ist nichts als Propaganda. Eine Inszenierung der Regierung. An der Pädagogischen Fakultät in Skopje gibt es nur eine kleine Gruppe albanischer Studenten – 57 genau. Hier in Tetovo dagegen studieren 2.500 Albaner.“ Die Gründung der Universität, so Sulejmani, sei eine absolute Notwendigkeit gewesen. In den fast 50 Jahren der jugoslawischen Ära habe es in Makedonien ganze 400 albanische Hochschulabsolventen gegeben. Er betont jedoch, daß die Universität auch anderen Nationalitäten offenstehe.

Am Stadtrand von Tetovo herrscht Bauboom. Straßen, in deren aufgerissener Asphaltdecke sich Schlagloch an Schlagloch reiht, kontrastieren mit den Neubauten großzügiger mehrgeschossiger Einfamilienhäuser, kleiner spiegelnder Cafés und Börekstuben. Neben einem Hauseingang ein unauffälliges Emailleschild: „UT 9“. Es steht für „Universität Tetovo, Fakultät 9“. In dem Haus, dessen Innenausbau noch nicht vollständig abgeschlossen ist, ist das Institut für bildende Kunst untergebracht. Im Keller modellierte Tonköpfe, im dritten Obergeschoß ein Gewirr verwaister Staffeleien. Landschaften und Stilleben in Öl, Skizzen menschlicher Körper. Die Schöpfer der Werke verbringen ihre Mittagspause in einem Nebenraum bei Cola und Zigaretten.

In den zwei Jahren ihres Bestehens ist die Universität auf elf Fakultäten angewachsen. Allesamt sind in Privathäusern untergebracht, die von ihren Besitzern, oft Gastarbeiter im westlichen Ausland, unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Einige Fakultäten haben den Luxus ausschließlich von ihnen genutzter Häuser. Der Unterricht in Privathäusern sowie die Tatsache, daß die Universität vollständig von der albanischen Bevölkerung finanziert wird, erinnert an die Situation im Kosovo, wo die Albaner sich durch die Schaffung „paralleler Strukturen“ vom staatlich serbischen System unabhängig gemacht haben.

Fadil Sulejmani beharrt jedoch darauf, daß der makedonische Staat eine Verpflichtung gegenüber den Albanern hat, egal ob sie nun, wie offiziell angegeben 23 Prozent oder, wie nach eigener Meinung, über 40 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Damit widerspricht er gleichzeitig jenen, die seinen Landsleuten großalbanische Bestrebungen, den Wunsch nach einer Vereinigung mit dem Mutterland und dem Kosovo unterstellen. „Makedonien ist unser Vaterland, genauso wie es das Vaterland der Makedonier ist. Wir sind loyale Staatsbürger, die ihre Steuern zahlen und ihre Söhne zur Armee schicken.“ Daher wehrt er sich auch dagegen, die Universität als private Einrichtung zu genehmigen. „Die Makedonier haben alles: zwei Universitäten, eine Akademie der Wissenschaften und andere kulturelle Einrichtungen. Das ist alles von uns mitfinanziert, zur Hälfte stecken darin albanischer Schweiß und albanisches Geld.“ Nach Meinung der Makedonier sei ein Albaner eben ausschließlich für körperliche Arbeit gut. „Sie können sich keinen Albaner als Arzt oder Ingenieur vorstellen, keinen Albaner mit Krawatte.“ Fadil Sulejmani ist aufgebracht. Doch nur kurz, dann gewinnt die ruhige und sichere Ausstrahlung wieder die Oberhand. „Die Universtität von Tetovo ist längst eine Realität. Vielleicht wird es eine Weile dauern, aber eines Tages wird man sie anerkennen müssen. Ich bin Optimist.“ Die Anerkennung, ist sich Fadil Sulejmani sicher, sei auch ein wichtiger Schritt hin zur Integration Makedoniens in Europa.

Bis spätestens Mai, so die Tageszeitung Dnevnik, soll ein Gesetzentwurf zur Hochschulbildung im Parlament diskutiert werden. Dann wird auch über das Schicksal der Universität von Tetovo entschieden. Die stillschweigende Duldung ihres Betriebes und die Tatsache, daß der Rektor trotz offensichtlicher Verstöße gegen staatliche Auflagen auf freiem Fuß ist, lassen auf eine Lösung des Konfliktes hoffen.

Sicher ist allerdings, daß die Wogen der Entrüstung seitens der makedonischen Nationalisten dann noch wesentlich höher schlagen werden als jetzt. Die Regierungsmannschaft um Kiro Gligorov wird es nicht leicht haben, dem Land den Beinamen „Oase des Friedens“ zu bewahren.

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