: Order von ganz oben: Keine Gefangenen
Bei der Geiselbefreiung in Lima sollen die MRTA-Kämpfer regelrecht hingerichtet worden sein ■ Von Ingo Malcher
Buenos Aires (taz) – Polizeibeamte schleifen die schwarzen Plastiksäcke mit den Leichen der getöteten MRTA-Aktivisten unsanft aus der gestürmten Botschafterresidenz in Lima. Erst einen Tag nach dem gewaltsamen Ende der längsten Geiselnahme in Lateinamerika werden die Leichen abtransportiert. Zehn der insgesamt vierzehn Leichen seien identifiziert, so teilte der peruanische Präsident Alberto Fujimori mit. Einige seien von den Plastiksprengstoffbomben zerfetzt worden, und die Sicherheitsbehörden haben erst ihre Körperteile zusammensuchen müssen.
Allmählich verdichten sich die Hinweise, daß zumindest einige der vierzehn MRTA-Käpfer von dem Spezialkommando aus Einheiten der Marine und der Luftwaffe ermordet wurden. Befreite Geiseln berichteten der japanischen Tageszeitung Asahi Shimbun, sie hätten gesehen, wie die Soldaten einige MRTA-Guerilleros mit erhobenen Händen abführten. Sie berichteten außerdem, daß sich einige Guerilleros ergeben hätten. Die Ex-Geiseln zeigten sich erstaunt darüber, daß alle Guerilleros bei Gefechten mit dem Sturmkommando getötet worden sein sollen, wie Fujimori versucht der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen.
Die Situation der MRTA- Kämpfer war bei dem Angriff aussichtslos, nachdem in einem ersten Schlag gleich acht von ihnen überwältigt wurden. Mit den verbliebenen sechs gegen das 140köpfige Sonderkommando gegenhalten zu wollen wäre reiner Wahnsinn gewesen.
Der Chef des MRTA-Kommandos, Nestor Cerpa Cartolini, sowie der Militärstratege und Verhandlungsführer Rolly Rojas sollen nach den bisherigen Angaben unter den ersten acht Guerilleros gewesen sein, die von den durch einen Tunnel eindringenden Soldaten außer Gefecht gesetzt wurden. Daher scheint es nicht unwahrscheinlich, daß sich die restlichen MRTA-Mitglieder ergeben haben.
Unlogisch auch: Wenn die MRTA-Guerilleros tatsächlich durch den Angriff völlig überrascht wurden, wieso war es dann nicht möglich, sie lebend zu überwältigen? Daß noch genug Zeit bleibt, die eigenen Waffen zu ziehen, wenn plötzlich wie aus dem Nichts ein Sturmkommando mit bis an die Zähne bewaffneten Elitesoldaten vor einem steht, ist höchst unwahrscheinlich. Demnach ist es wenig glaubhaft, daß alle Guerilleros in Gefechten gefallen sein sollen.
Vielmehr ist zu vermuten, daß das Spezialkommando einige Guerilleros regelrecht hingerichtet hat. Die Nachrichtenagentur Reuter berichtet unter Berufung auf Sicherheitskreise, auf jeden bereits am Boden liegenden Guerillero sei noch ein Kopfschuß abgefeuert worden. Anwohner wollen außerdem Pistolenschüsse während der Erstürmung der Residenz gehört haben.
Auf Fragen von Journalisten auf einer Pressekonferenz, ob das Militärkommando den Befehl hatte, keine Gefangenen zu machen, wich Fujimori aus. Er sagte lediglich, der Befehl, den das Kommando hatte, war „die Befreiung der 72 Geiseln“. Einige Zeitungen jedoch zitierten einen Informanten der peruanischen Sicherheitskräfte, der sagte, daß „bei Rettungsaktionen, gemäß den Regeln des Militärs, keine Gefangenen gemacht werden“.
Politisch dürfte sich der Mord an Cerpa, Rojas und den anderen MRTA-Kämpfern für Fujimori durchaus lohnen. Sie sind die letzten intellektuellen Köpfe der Gruppe und können somit auch noch aus dem Gefängnis für Ärger sorgen. Schließlich sind sie nach der spektakulären Geiselnahme zu Berühmtheiten geworden – und da hätte man sich schon anstrengen müssen, um sie im Gefängnis vom Medieninteresse zu isolieren.
Die Garantenkommission, die über vier Monate hinweg versuchte, zwischen der MRTA und der Regierung zu verhandeln, schob die „alleinige Verantwortung“ für das blutige Ende der peruanischen Regierung zu. Beim Verlesen der Erklärung der Garantenkommission brach der stockkonservative Erzbischof von Ayacucho, Juan Luis Cipriani, in Tränen aus. „Alle, die gestorben sind, sind unsere Brüder, Peruaner“, bedauerte er. „Die Wahrheit ist, ich leide sehr und bete zu Gott für ihre Seelen und ihre Familien.“
Das Prinzip, keine Gefangene zu machen, hat in Peru schon Tradition. Bei einer von Häftlingen des maoistischen „Leuchtenden Pfades“ angezettelten Gefängnisrevolte 1986 richtete die damalige Regierung von Präsident Alan Garcia ein Blutbad unter den Gefangenen an, als sie das Gefängnis von Militäreinheiten in Zusammenarbeit mit der Polizei stürmen und die meuternden Gefangenen regelrecht niedermetzeln ließ. 250 Häftlinge wurden damals getötet.
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