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Die Einsamkeit eines KP-Sekretärs

■ Das 3001 zeigt Ein kurzer Arbeitstag, ausgegraben aus dem Nachlaß von Krzystof Kieslowski

Der Strick, der sich in die Mundwinkel des Opfers einschneidet. Der Fuß, der sich aus der Socke windet. Keine haarsträubende Einzelheit bleibt uns erspart. Der genaue Anblick des Todes, bei Kieslowski und seinem Film Ein kurzer Film über das Töten ist es eine Vorhölle hundertfacher Einsamkeit. Der fünfte Teil seines berühmten Dekalogs machte den polnischen Regisseur 1988 auf ambivalente Weise berühmt, enthielt er doch die längste und zugleich zäheste Mordszene, die jemals gedreht wurde.

Dem Prinzip - der hart gesetzte Hieb des Wahren, Häßlichen und unendlich Grausamen gegen alles Moderne, Verständige und Allzumenschliche - ist der Regisseur immer treu geblieben. Auch wenn sich diese Maßgabe bei den späteren Filmen aus dem französischen Exil (Blau, Weiß, Rot) nur immer mühevoller aus einem Wust an katholischer Schwerblütigkeit und manchmal auch an senilem Kunstwillen herausschälen läßt. Schließlich mußte Kieslowski Paris doch jede Eleganz und Leichtigkeit austreiben, um ihr dann die Warschauer Tristesse überstülpen zu können.

Ganz im Stil jener puristischen Erzählung und gradlinigen Optik des Chronisten aus früheren Tagen ist auch Ein kurzer Arbeitstag gefertigt. Der Film über die schwierigsten Amtshandlungen eines zunehmend nervösen KP-Sekretärs war 16 Jahre lang in den Verschlußsachen der ängstlichen Staatsmacht in Warschau verschwunden. Stolz und zurecht hatte sich die diesjährige Berlinale in die Hühnerbrust geschmissen und den bislang unveröffentlichten Nachlaß präsentiert, den das 3001 jetzt zeigt.

Gedreht 1981, kurz vor Ausrufung des Kriegszustandes in Polen, erzählt der Film von einem namenlosen Regierungsbeamten, der vor seinem Arbeitsfenster auf das renitente Volk wartet, das die absurden Preissteigerungen und noch absurderen Regierungserklärungen nicht länger hinnehmen will. Die Rauchschwaden im Büro, das Bonbonpapierknistern, dazwischen das Preisniveau von Dauerwurst und Schweinerippen, Telefonate mit Betriebsleitern, deren Werke bestreikt werden, vorausweisende Verhaftungsszenen, der speckig glänzende Flur und immer wieder der Versuch, sich mit Alltäglichkeiten, wie dem Aufziehen der Uhr und dem Füttern der Fische ein Stück Normalität zu retten. Wieder sind es die Details, die zeitliche Eins-zu-Eins-Penibilität mit der Kieslowski die Berührungsängste zwischen einer vereinsamten Staatsmacht und ihrem fremden Volk inszeniert, das selbst bei den Mächtigen angekommen zwischen Allmacht und Ohnmacht schwankt.

Und wenn der KP-Sekretär in einem TV-Interview später erzählt „als die Arbeiter nicht zur Arbeit gingen, befiel mich eine innere Unruhe“sind die Bilder noch nicht verblaßt, in denen er wie ein einsames Schwein geschwitzt hat.

Birgit Glombitza 3001

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