: „Pale haftet an mir wie ein Brandzeichen“
■ Gespräch mit Mladen Vuksanović über sein Buch „Im Herzen der Finsternis“
Mladen Vuksanović hat während der ersten zweieinhalb Monate des Krieges in Bosnien-Herzegowina ein Tagebuch geschrieben (siehe taz von gestern). Dokumentiert wird darin, wie der Luftkurort Pale bei Sarajevo zur ethnisch reinen „Serbenhochburg“ wird. „Pale – Im Herzen der Finsternis“ erschien beim Folio Verlag, Wien.
taz: Herr Vuksanović, Ihnen war zu Beginn des Krieges als ehemaligem Direktor des III. Programms des Fernsehens Sarajevo eine Karriere im serbischen Fernsehen Pale in Aussicht gestellt worden. Anstatt anzunehmen, haben Sie Haus und Hof verlassen und sind aus Ihrer Geburtsstadt Pale geflohen. Heute leben Sie auf einer kroatischen Insel in der Adria und schlagen sich als Nachtwächter durch.
Mladen Vukdanović: Auf der Insel Cres gibt es eine kroatische und italienische Mischbevölkerung. Dort leben die Menschen noch in einer Normalität, die in Pale leider zerstört worden ist. Für mich persönlich zerbröckelte das normale Leben schon ein Jahr vor dem Krieg, als meine Dokumentation über die Isolation von Albanern ausgestrahlt wurde. Das eskalierte noch mehr, als ich im Januar 1992 einen Bericht über die Zerstörung Dubrovniks gemacht habe. Als es gesendet wurde, warf man mir vor, auf der Seite der Muslime und Kroaten zu sein.
Wer hat sich gegen Sie gestellt?
Das waren viele Leute, darunter meine besten Freunde aus der Kindheit, Förster, Ingenieure, Juristen, Leute allerdings, die kaum über den Tellerrand Pales hinausgeschaut hatten.
Wie kam deren Reaktion zustande?
Das ist schwer zu erklären. Die Menschen begannen sich in den Monaten vor dem Krieg zu verändern. Karadžić, Koljević und andere Führer der serbischen nationalen Bewegung in Bosnien kamen damals oft nach Pale, führten Gespräche, machten Veranstaltungen. Und meine Freunde gingen hin, brachten Geschenke mit, fühlten sich in diesem Kreis wohl und fragten mich verwundert, warum ich nicht teilnehmen wollte. Ich kannte Radovan Karadžić schon einige Jahre vor dem Krieg, er war ein schwermütiger Mensch aus Montenegro, der von der Bevölkerung in Sarajevo nicht so richtig angenommen worden war. Im Wahlkampf 1990 organisierte ich im Fernsehen Diskussionsrunden, so daß ich mit allen wichtigen Politikern zu tun hatte. Radovan Karadžić war plötzlich auch darunter, wie Alija Izetbegović und Stjepan Kljuić hatte er Gelegenheit, jeweils eine Stunde seine Ideen zu präsentieren. Damals sagte Karadžić klipp und klar, die Serben müßten in Bosnien ein eigenes Territorium haben.
Wann begann die Lage bedrohlich zu werden?
Die Gefahr kam nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie kam Schritt für Schritt. Als ich es abgelehnt hatte, beim serbisch- bosnischen Fernsehen zu arbeiten, sagte mir ein Freund, ich sei jetzt wohl isoliert. Und das steigerte sich, als den 3.000 in Pale lebenden Muslimen ab April 1992 die Telefone gesperrt wurden. Dann kamen viele muslimische Nachbarn zu mir, um nach Sarajevo oder ins Ausland zu telefonieren. Ich beschreibe in dem Tagebuch, wie sie Schritt für Schritt isoliert und schließlich vertrieben wurden. Ich selbst wurde im Juni von serbischen Nachbarn denunziert. Die Militärpolizei kam und wollte nach Waffen suchen. Ich machte mich in ihren Augen gerade deshalb verdächtig, weil ich als Serbe keine Waffen hatte. Nachdem alle Muslime vertrieben waren, zogen schwerbewaffnete uniformierte Serben in ihre Häuser, ich war plötzlich der einzige in Zivil. Als wir dann auf abenteuerliche Weise nach Belgrad fliehen konnten und schließlich nach Kroatien kamen, wurde ich mehrmals zur Überprüfung festgenommen, gerade weil ich ein Serbe aus Pale bin, das wiederum war fast unvorstellbar für kroatische Polizisten.
Was bedeutet Bosnien für Sie heute?
Ich bin verzweifelt wegen Bosnien, ich finde im wahrsten Sinne des Wortes keinen Schlaf. Die großen Serben, die großen Kroaten und die großen Muslime haben gesiegt. Aber ist ihr Sieg von langer Dauer? Kurzfristig sehe ich für die bosnische Gesellschaft keine Chancen, sich wieder zu der Gesellschaft hin zu entwickeln, die ich mochte, doch langfristig lebt die Hoffnung, Bosnien habe eine Substanz, die Menschen miteinander verbindet, über alle Grenzen hinweg. Zwar sollte man das Zusammenleben der Völker in Bosnien nicht idealisieren, doch könnte diese Substanz letztlich stärker sein als das Regiment all jener Idioten, die jetzt an der Macht sind. Interview: Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen