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Sprengsatz am „System Österreich“

■ Die Verschwisterung von Politik und Wirtschaft hat Methode. An ihr ändert Praschaks bitterer Nachlaß nichts

„To whom it may concern“ – „Wen immer es betrifft“, so lautet die Anredeformel in Gerhard Praschaks Abschiedsbrief. Als Adressat hat er alle Österreicherinnen und Österreicher im Auge. Sie will er auf „dieses System der Ungleichgewichtigkeiten hinweisen“, in der Hoffnung, „daß die Wirkung für Österreich nicht ausbleibt“.

Wie übersteigert das Ansinnen auch sein mag, das tragische Ende des eigenen Lebens mit dem Gedeihen eines ganzen Landes verbinden zu wollen, die Konvolute aus Akten und Gesprächsvermerken, die Praschak an Medien und Parteien versandt hat, könnten tatsächlich einen Sprengsatz an das „System Österreich“ legen. Es ist bloß fraglich, ob er detoniert.

Denn in Österreich ist persönlicher beruflicher Aufstieg – wie freilich anderswo auch – nicht ausschließlich mit professioneller Kompetenz verbunden. Man muß, um das mindeste zu sagen, die richtigen Leute an den richtigen Stellen kennen. Hinzu kommt das für den Bankensektor Spezifische: Alle Geld- und Kredithäuser befinden sich in unterschiedlichem Maße im Einflußbereich der Politik, wie die Bank-Austria (eher SPÖ-nah), die Creditanstalt (eher ÖVP), wie Raiffeisen-Kassen (ÖVP-Bauernbund), die Bank für Arbeit und Wirtschaft (Bawag, Gewerkschaftsbund). Alle diese staatsnahen Finanzinstitute sind gerade in den vergangenen Jahren und Monaten einer verschärften Konkurrenz und dem Druck zur Marktbereinigung durch Konzentration ausgesetzt (so übernahm die Bank-Austria jüngst die Creditanstalt). Die Institute wiederum bilden gemeinsam mit den Vertretern der Republik die Entscheidungsspitzen der staatlichen Notenbank, der Nationalbank und auch der Kontrollbank, in der Gerhard Praschak einen der beiden Vorstandsposten bekleidete.

Hinzu kommt ein weiteres Spezifikum des „Systems Österreich“: das Sekretärssystem. Einer der vielversprechendsten Aufstiegswege in Österreich ist es, Sekretär eines einflußreichen Politikers zu werden. Sympotmatisch die Karriere von Exkanzler Franz Vranitzky: er war in jungen Jahren Sekretär des Kreisky-Ziehsohns, des Finanzministers und Vizekanzlers Hannes Androsch, wechselte dann in die Chefetagen zweier staatsnaher Banken, bevor er, zuerst als Finanzminister, dann als Kanzler in die Politik zurückkehrte. Seine Sekretäre kamen nahezu allesamt aus dem Bankensektor – darunter Rudolf Scholten, der es später zum Kunstminister brachte und dessen Bestellung zu einem der Kontrollbank-Vorstände nun die Tragödie um Praschak ausgelöst hat, sowie Praschak selbst. Der spektakuläre Freitod Praschaks wirft ein Schlaglicht auf diese Kungelwirtschaft – doch ist unwahrscheinlich, daß er sie aufbrechen wird. Dazu fehlen die Voraussetzungen. Die Tatsache, daß es Österreich an einem Privatbankensektor gebricht, läßt sich nicht so einfach aus der Welt schaffen. Daß Banken, an denen die Republik, die Kommunen und Länder oder mächtige Verbände wie Bauernbund und Gewerkschaften einen Großteil der Anteile haben, immer – auch was ihre Personalentscheidungen betrifft – unter dem Einfluß der Politik stehen werden, ist leicht einsehbar; und im übrigen auch nicht schädlicher, als wenn sie von großen Kapitalagglomerationen gesteuert wären.

Hinzu kommt, daß alle – Medienkonzerne und Parteien – an diesem System teilhaben und somit das Interesse fehlt, es tatsächlich zu zerstören. Und daß sich, schließlich, hier jemand in tiefer Verzweiflung zum Ankläger des Systems Österreich aufschwingt, der diesem bis zuletzt angehörte, gibt Praschaks nachgelassenen Argumenten zumindest keinen zusätzlichen Schwung. Eine eventuelle Kampagne in Folge des Praschak- Freitodes wird schnell abebben. Robert Misik, Wien

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