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Vertane Jahre?

■ Die Prominenz sucht einen Schriftsteller - und findet sich selbst: Ein Abend für Stephan Hermlin im Berliner Ensemble

Die DDR als kultureller Raum verflüchtigt sich. So wie sich kaum noch jemand an den genauen Verlauf der Mauer im Stadtbild erinnern kann, so verschwimmen auch ihre Konturen in der Erinnerung.

Paradoxerweise sind es Totenfeiern, in denen die Erfahrungen des in der DDR gelebten Lebens immer wieder lebendig werden. Das Berliner Ensemble ist seit dem Tod Heiner Müllers und dem zehntägigen Marathontrauerlesen der bevorzugte Ort solchen Gedenkens – nun erhielt auch Stephan Hermlin seinen Gedächtnisabend am BE.

Am Dienstag abend versammelte sich eine eindrucksvolle Prominentenkollektion auf der BE- Bühne. Es waren keineswegs nur die großen Namen der DDR-Literaturgemeinde, sondern auch gelernte Westdeutsche wie Günter Grass, Günter Gaus und Klaus Wagenbach, die da wie der Chor in einer griechischen Tragödie im Halbkreis beisammensaßen, um Texte „von und für“ Hermlin zu verlesen. DDR-Identität, so scheint es, fällt heute nicht mehr unbedingt mit den alten Landesgrenzen zusammen, sondern ist eine Frage der inneren Einstellung, der Haltung gegenüber der Vergangenheit und besonders den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart.

Dafür steht wie kein anderer Günter Grass. In der Art, wie Hermlin in den letzten Monaten seines Lebens „wie Freiwild getrieben“ worden sei, sah er ein weiteres Indiz für das moralische und kulturelle Scheitern der deutschen Einheit. Hermlin, der „skeptische Kommunist“ und „deutsche Patriot“ jüdischer Herkunft, sei sein ganzes Leben lang nur gehetzt worden, sein Hang zur Stilisierung und Selbststilisierung müsse demnach als notwendiger Schutzmechanismus verstanden werden.

Auch andere Redner – das war die interessanteste Einsicht des Abends – machten in ihren Erinnerungen an Hermlin vor allem sich selbst kenntlich. Und es ist ja nicht das Schlechteste, was sich über einen Dichter sagen läßt, daß so viele unterschiedliche Persönlichkeiten in ihm Platz haben.

Da schlug der Marxist Volker Braun den großen historischen Bogen, indem er das Jahrhundert am Ende, an dem seine Kämpfer abtreten, wieder am Ausgangspunkt angekommen sieht. Da beschrieb der nicht ganz uneitle Stefan Heym Hermlin als einen Mann mit „wohlgeformtem Kopf und durchgeistigten Zügen“ und rief ihm ein emphatisches „Salut, Kamerad!“ nach.

Da betätigte sich der literarische Chronist Christoph Hein als Sekretär, indem er einen Brief Hans Mayers an Hermlins Sohn verlas. Da beschäftigten sich die Lyriker Karl Mickel, Rainer Kirsch, Hans- Eckardt Wenzel und die Lyrikerin Kathrin Schmidt auf unterschiedliche Weise mit Gedichten Hermlins, und der linke Sozialdemokrat Günter Gaus beklagte den Zustand unserer „links amputierten Nation“ und speziell der sich selbst links amputierenden SPD. Gaus' brillanter Beitrag versuchte, den „hoch verehrten“ Sozialisten Hermlin mit dem weit weniger verehrten Ernst Jünger zu vergleichen.

Ein „linker Bismarckianer“ sei Hermlin gewesen, meinte Gaus. Christa und Gerhard Wolf betonten dagegen in einem einfühlsamen, dialogischen Text Hermlins „ungeheure Sehnsucht nach Vollkommenheit“. Und Thomas von Vegesack vom internationalen PEN schilderte Hermlin als mutigen Kulturpolitiker, der sich seinerzeit im PEN gegen den Mauerbau und gegen die Invasion in der ČSSR ausgesprochen habe.

Es ist klar, daß an einem Gedenkabend das Positive überwiegt. Dennoch wurde Hermlin keineswegs nur mit Weihrauch umnebelt. Am Schluß wurde auch die Tragik seines und nicht nur seines Lebens deutlich. Da versagte Christa Wolf die Stimme, so daß ihr Mann ihren letzten Satz sprechen mußte: „Die Zeit der Wunder ist vorbei, die Jahre sind vertan.“ Jörg Magenau

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