■ Kommentar: Ein Militär regiert
Es sind nicht so sehr die Knüppeleinsätze der Polizei gegen angeblich vermummte Demonstranten oder einige Steinewerfer – es ist vor allem die Begründung von Innensenator Jörg Schönbohm, den öffentlichen Raum der Stadt zum militärischen „Gefechts“-Gebiet zu erklären, die den diesjährigen 1. Mai wieder in die Berliner Geschichte eingehen läßt. Anders als noch im vergangenen Jahr bestimmten nicht die Demonstranten mit ihrem bunten Demozug die Szenerie, sondern prügelnde Polizisten, die nur eines im Sinn hatten: Schönbohms Devise der „niedrigen Eingriffsschwelle“, sprich: der polizeilichen Eskalation nachdrücklich umzusetzen. Aus dem „revolutionären“ 1. Mai wurde – zehn Jahre nach der Abriegelung Kreuzbergs unter Innensenator Wilhelm Kewenig – wieder ein polizeistaatlicher 1. Mai.
Anders als seine Vorgänger treibt Schönbohm dabei vor allem eines um: die „Hauptstadtfähigkeit“ Berlins. Zwei Jahre vor dem Regierungsumzug läßt Schönbohm keinen Zweifel daran, was man darunter zu verstehen hat. Die Integration der Ausländer sei mißglückt, die multikulturelle Gesellschaft am Ende, die Bundesrepublik müsse als Nationalstaat der Deutschen wieder in den Vordergrund gerückt werden. Wer sich nicht integriert, lautet die Devise, wird ausgegrenzt. Das gilt auch für die nichtintegrierten Deutschen.
Denen soll gezeigt werden, daß die Hauptstadtreife im Zweifel auch mit demokratischen Rechten wie der Versammlungsfreiheit oder der Bewegungsfreiheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen bezahlt werden muß. Wer polizeiliches Handeln zudem bereits im Vorfeld damit begründet, dies sei eben „wie im Gefecht“, zeigt, daß hier kein Zivilist am Werke ist, sondern ein zutiefst undemokratisch denkender Militär. Uwe Rada
Siehe auch Berichte auf den Seiten 2 und 18
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