: Puszta-Boygroup vs. TED
Damit auch Sie mitreden können: Eine Chanson-Vorkostung von ■ Jan Feddersen
Weil voriges Jahr die blockflötenhaft kehlige Eimear Quinn mit dem Lied „The Voice“ gewann, darf Irland heute abend zum siebtenmal Gastgeber des Grand Prix sein. Im Point Theatre werden die Popmoderatorin Carrie Crowley und der Boyzone-Mitgründer Ronan Keating die Lieder ansagen, womit sich die RTE-Manager für eine MTV-mäßige Anmutung entschieden haben.
Nicht so die ARD, für die der NDR-Mann Peter Urban kommentiert. In fünf Ländern wurden die Juries abgeschafft, und auch hierzulande ist das Volk erstmals zur Abstimmung aufgerufen – per TED. Telefonnummer ist die 0137/20200 plus die jeweilige Landeskennziffer. Damit auch die taz- Leser von diesem einzigartigen Pop-Plebiszit Gebrauch machen können, ohne alle Schlager selbst anhören zu müssen, sollen sämtliche Titel hier kurz und prägnant vorgestellt werden. Für den deutschen Beitrag („Zeit“ von der Westfälin Bianca Shomburg) darf das deutsche Publikum übrigens nicht stimmen!
01. Zypern: Chara & Adreas Contantinous „Mana mou“ ist gefälliger mediterraner Ethnoflottpop; in irischen Wettbüros auf Platz 6.
02. Türkei: Ethnic – „Dinle“ („Hör zu“). Sängerin Sebnem Paker, die anatolische Marianne Rosenberg, singt sehr lyrisch im orientalischen Stil auf Nummer Sicher von der Liebe, die sie vermißt.
03. Norwegen: Tor Endresen – „San Francisco“. Der Klaus Lage der Fjorde singt einem letzten Platz entgegen – dieses brüske, ranzige und sentimentale 68er-Gejaule verdirbt jede Laune.
04. Österreich: Bettina Soriat – „One Step“. Eine aerobische Tanznummer einer gelernten Tänzerin, die Soul zu geben verspricht und doch nur die Frage nach einem hoffentlich guten Deo aufwirft.
05. Irland: Marc Roberts – „Mysterious Woman“. Mittelleichtes Pianogeklimper, Sänger mit Lockenmähne und die Hoffnung bei der RTE, jemanden gefunden zu haben, der garantiert nicht gewinnt.
06. Slowenien: Tanja Ribic – „Zbudi se“ („Wach auf“). Aufreizend schläfrige Ballade über die Suche nach dem Traumprinzen. Wie es sich thematisch gehört, wird die Chose im Vergeblichen enden.
07. Schweiz: Barbara Berta – „Dentro di me“ („In mir drin“). Jazzig unterkühlte Nummer einer blondlockigen Tessinerin, die damit offenbar allen wohl, niemand weh und gewiß keinen Sieg will.
08. Niederlande: Mrs. Einstein – „Niemand heeft nog tijd“ („Niemand hat genug Zeit“). Hysterischer Song im „Kobra, übernehmen Sie“-Stil von fünf Damen ohne Namen. Mission: Impossible.
09. Italien: Jalisse – „Fiume di parole“ („Redeflüsse“). Das Duo (Alessandra Drusian & Fabio Ricci) gewann mit diesem neoitalienischen Canzone schon das San- Remo-Festival. Hochfavorisiert.
10. Spanien: Marcos Llunas – „Sin rencor“ („Ohne Groll“). Grüblerisches Liebeslied über eine gescheiterte Beziehung; begleitet von einem Rudel Geigen, gesungen mit brüchig-schluchzendem Timbre.
11. Deutschland: Bianca Shomburg – „Zeit“. Grand-Prix-Fanklubs haben die Beamtin mit der großen Stimme „Dolly Schaf“ genannt – was der üblen Nachrede wegen ihrer Nase zuviel ist.
12. Polen: Anna Maria Jopik – „Ale jestem“ („Und ich bin“). Ethnomäßig Außergewöhnliches einer Sängerin aus Warschau, die behauptet, ein Sandkorn zu sein; klasse, aber chancenlos.
13. Estland: Maarja-Liis Ilus – „Keelatud maa“ („Verbotenes Land“). Tragödisches Lied über leidvolle Gefühle, verzweifelnd intoniert von einer 16jährigen Schülerin mit melancholischen Augen.
14. Bosnien: Alma Cardzic – „Goodbye“. Schon wieder ist Abschied das Thema – harmlos, weil mit mäßigem Schwung geträllert. Wie üblich wird dieses Land vom Sarajevo-Nimbus profitieren.
15. Portugal: Celia Lawson – „Antes do adeus“ („Vor dem Abschied“). Schon wieder liegt eine Trennung schwer im Magen. Textprobe: „Das Zauberhafte der Stadt liegt in Asche.“ Fader Fado.
16. Schweden: Blond – „Bara hon älskar mig“ („Nur sie liebt mich“). Die drei blonden Jungs haben in Skandinavien kürzlich das Genre der Blondenwitze provoziert; temporeiches, nervöses Stück.
17. Griechenland: Mariana Zorba – „Horepse“ („Tanze!“). Eine Tragödie in drei Minuten; Folklore, die auf Kreta immer wieder gerne gehört wird; tanztauglich nach entsprechendem Neusoundmix.
18. Malta: Debbie Scerri – „Let Me Fly“ („Laß mich fliegen“). Keltisch anmutendes Stück, das auf einen Topplatz gewettet wird; der Himmelsthron wird ihr aber wegen ihrer Ponyfrisur verwehrt bleiben.
19. Ungarn: V.I.P. – „Miert kell hogy elmenj?“ („Warum mußt du gehen?“) Eine Puszta-Boygroup aus der Castingretorte, die bewußt samt Frisuren an „Take That“ erinnern will; nichtig, aber nett.
20. Rußland: Alla Pugatschowa – „Primadonna“. Seit 15 Jahren populärste Sängerin Rußlands; eine würdig angewelkte Diva, die vermutlich sich selbst besingt; großartige Show mit Taiga-Appeal.
21. Dänemark: Koelig Kaj – „Stemmen i mit liv“ („Die Stimme meines Lebens“). Der Sänger beweist, daß Hornbrillen sexy machen; Rap à la Kopenhagen, der um etwas Humor bemüht ist.
22. Frankreich: Fanny – „Sentimensonges“ („Gefühle, Träume“). Der ehemalige Kinderstar liefert insgeheim eine Femmage auf Françoise Hardy; sehr, sehr modernes und dezentes Chanson.
23. Kroatien: E.N.I. – „Probudi me“ („Weck mich auf“). Mädchengruppe, die mit den original Spice Girls soviel zu tun haben wie Harald Juhnke mit Frank Sinatra.
24. Großbritannien: Katrina & the Waves – „Love Shine A Light“ („Liebe, strahl' ein Licht“). Mix aus „We Are The World“ & U 2; auch hochfavorisiert.
25. Island: Paul Oscar – „Minn hinsti dans“ („Mein letzter Tanz“). Diese Kreuzung aus David Bowie und Nena, Superstar in seiner Heimat, bilanziert auf weißem Lacksofa technogeigenumspült sein Leben. Alle Fotos:Promo
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen