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„Musicals sind keine Mode mehr“

■ Seichte Operetten genießen ungebrochen Erfolg. Hamburgs Gastronomie profitiert

Seichter Singsang allerorten. Ob bei „Cats“(Start: 1986), beim „Phantom der Oper“(1990) oder bei „Buddy Holly“(1994): Die vermeintliche Hamburger Musical-Euphorie quillt vielen Kulturmenschen langsam aus den Ohren. Oberbaudirektor Egbert Kossak (SPD) zum Beispiel. „Drei Musicals sind schon reichlich“, stöhnt er und hofft, sein Vorgesetzter, Thomas Mirow – Senator für Stadtentwicklung – möge die jüngsten Pläne für eine vierte Musical-Show („Untergang der Titanic“) am Berliner Tor in St. Georg stoppen.

Die Marktanalysen der Tourismuszentrale sowie führender Musical-Betreiber widersprechen der Einschätzung des Oberbaudirektors. Jedenfalls, wenn man die Kultur-Konsumware Musical ungeachtet ihres dünnen inhaltlichen und bildungspolitischen Gehalts und rein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet: Bis zu 95 Prozent Auslastung pro Abend bei rund 400 Vorstellungen im Jahr genießen Kassenschlager wie „Cats“und „Phantom der Oper“.

„Musicals sind keine Mode mehr, sondern haben sich fest auf dem Freizeitmarkt etabliert“, behauptet daher Steffen Ball von der Stella Musical Management GmbH. Grund dafür seien nicht nur die Preise, die mit 70 bis 180 Mark pro Platz seit bald einem Jahrzehnt stabil sind. Der Erfolg eines Musicals hänge von Vertriebsstruktur und Werbung, aber auch von seinem Standort ab. Da sei die „Weltstadt Hamburg“prädestiniert.

„Wer eigens an die Elbe reist, um ein Musical zu sehen, geht oft noch in eines unserer Museen oder Theater“, weiß Ingo Mix von der Kulturbehörde. Die Zahlen der Tourismuszentrale geben ihm recht: Rund zwei Millionen Menschen besuchen jährlich eines der drei Hamburger Musicals; 500.000 von ihnen übernachten anschließend in der Hansestadt. Gastronomie- und Hotelbetriebe profitieren mit bis zu 175 Millionen Mark Einnahmen.

Die modernen Operetten ziehen „in den ersten zwei Jahren vor allem Leute aus dem Nahbereich von 250 Kilometern an“, sagt Stella-Sprecher Ball. Zu „Cats“strömen Scharen (4,8 Millionen Besucher seit 1986) inzwischen aus dem ganzen Bundesgebiet; in kleinen Dörfern gilt es immer noch als prestigesteigernd, wenn der Kegelverein einen Bus gen Reeperbahn chartert.

Dennoch mußten und müssen Musicals wie „Tommy“in Offenbach oder „Sunset Boulevard“in Niedernhausen mangels Publikum schließen. „Es ist immer ein hohes Risiko, Musicals nach Deutschland zu holen, die gerade erst in New York uraufgeführt worden sind“, glaubt Ball den Grund zu kennen. Die Akzeptanz beim Publikum sei schlechter vorhersehbar, als wenn das Musical „bereits in den USA ein Erfolg war“. Heike Haarhoff

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