„Es wird keinen Blair in Deutschland geben“

■ Die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles zu Schröders Modernisierungsdebatte

taz: Frau Nahles, der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder fordert nach dem Sieg von Labour die SPD auf, eine Programmdebatte zu führen. Finden Sie daran eigentlich irgend etwas interessant?

Andrea Nahles: Nein. Denn Schröder hat sich in den letzten zwei Jahren vor allem durch Tabubrüche an dem SPD-Programm hervorgetan und wenig konstruktive Vorschläge gemacht. Sein schärfster analytischer Begriff war die Unterscheidung zwischen „modern“ und „unmodern“.

Einer der Wahlkampfmanager von Tony Blair hat gesagt, Labour stehe rechts von der CDU. Bedeutet das also: Von Labour siegen lernen heißt, die CDU rechts zu überholen?

Das wäre falsch. Wir haben strategisch und politisch nur eine Chance, wenn wir klare Alternativen zur CDU bieten. Hierzulande sind die Bedingungen doch andere. Wir können nicht nach der Blair- Strategie verfahren, nach dem Motto: Wir hatten 15 Jahre Kohl und machen es nun ein bißchen besser. Dafür ist in dieser Zeit zuviel an Sozialabbau, Änderungen im Tarifrecht und anderem vorgenommen worden.

Schröder sagt jetzt, die SPD müsse die Besserverdienenden erreichen. Wollen Sie das nicht?

Wir machen Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir wollen an die Kapitalbesitzer heran, die hier Arbeitsplätze abbauen und woanders investieren. Ich sage aber auch: Die Besserverdienenden müssen stärker an der Solidargemeinschaft beteiligt werden als die Bezieher unterer Einkommen. Insofern kann ich mit Schröders Bemerkung wenig anfangen. Ich wüßte gerne, was er darunter konkret versteht. Die SPD-Politik muß sich an einem gerechten Lastenausgleich orientieren und nicht an Sprüchen, die progressiv klingen, von denen man aber nicht weiß, wohin sie führen.

Sie wollen die SPD deutlich weiter links positionieren?

Rechts- und Links-Schema hin und her – ich will, daß wir Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit machen, zu einer antizyklische Wirtschaftspolitik, zu einem ökologischen Zukunfts- und Investitionsprogramm, zu staatlichen Flankierungsmaßnahmen von Arbeitszeitverkürzungen. Dazu habe ich bisher keinen einzigen Vorschlag von Schröder und nur unzureichende vom Rest der Partei gehört.

Ist die SPD so desolat, daß sie erst Labours Sieg braucht, um eine Programmdebatte zu beginnen?

Das ist doch Blödsinn. Wir sind dabei, ein Regierungsprogramm zu entwerfen, das nächstes Jahr konkretisiert wird. Jeder kann da seine Vorschläge machen, auch Schröder. Aber man darf doch nicht Großbritannien mit der Bundesrepublik gleichsetzen. Wir haben hier ein Verhältnis-, kein Mehrheitswahlrecht. Von daher müssen wir Blöcke zusammenschieben, müssen Mehrheiten für einen Machtwechsel in Bonn organisieren. Das ist die strategische Frage, vor der wir stehen.

Der frühere Bundesgeschäftsführer Peter Glotz meint, Schröder sei wegen seines negativen Kurses zum Euro ein Risiko für die Partei. Würden Sie dem zustimmen?

Wir Jusos halten nichts von einer Verschiebung des Euro. Bei der Auslegung der Maastricht-Kriterien wollen wir aber eine größere Flexibilität und eine Absicherung von ökologischen und sozialen Mindeststandards. Mittelfristig ist die Einführung des Euro sinnvoll, auch wenn das Konzept noch beschäftigungspolitische Mängel aufweist. Es wäre aber fatal, wenn durch skeptische Äußerungen zum Euro die negative Einstellung in der Bevölkerung verstärkt würde.

Glauben Sie, daß Schröder 1998 der Tony Blair der deutschen Sozialdemokraten wird?

Es wird in Deutschland keinen Tony Blair geben. Interview: Severin Weiland