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„Einem Knacki glaubt man nicht“

■ Mißhandlungen sind an der Tagesordnung – nicht nur in der U-Haft Interview mit einem Sexualstraftäter

chläge gehören im Knast zum Alltag – und zwar nicht nur in der Untersuchungshaft, sondern auch in der Strafhaft. Das behauptet jedenfalls Walter Mustermann (Name von der Red. geändert). Knapp zwei Jahre hat der rechtskräftig verurteilte Sexualstraftäter im Oslebshausener Knast gesessen. Mit der taz sprach er über seine Erfahrungen.

Herr Mustermann, die Kripo spricht von „Folter“im Knast. Gehört Gewalt zum Alltag im Gefängnis oder sind die Übergriffe von Beamten auf Gefangene Einzelfälle?

Nein, Schlägereien sind im Knast eine alltägliche Erscheinung. Die Beamten schlagen die Häftlinge, aber die Häftlinge schlagen auch die Beamten. Die ganze Situation ist geprägt von Gefühllosigkeit und Brutalität hoch drei.

Sind Sie geschlagen worden?

Ja, auf einem Krankentransport. Ich saß im Krankentransporter und bekam keine Luft mehr. Um mich bemerkbar zu machen, habe ich gegen die Wände des Transporters geklopft. Mir blieb gar nichts anderes übrig – die Motorengeräusche waren ja so laut. Der Transporter hielt an. Die Tür ging auf. Zwei Beamte stürmten den Verschlag. Ich saß da in diesem kleinen Verschlag und konnte mich kaum bewegen. Ich hatte auch noch einen Fernseher auf dem Schoß. Dann haben sie mit dem Schlagstock auf mich eingeschlagen.

Waren Sie verletzt?

Ich hatte eine offene Wunde am Kopf. Das ist aber nicht zur Kenntnis genommen worden.

Haben die Beamten ihr Verhalten begründet?

Ja, sie haben gesagt, ich hätte nichts zu sagen und solle mich nicht so anstellen. In Wirklichkeit wäre ich gar nicht krank und würde sowieso nur simulieren.

Haben Sie die Beamten angezeigt?

Nein, ich war ja auch ein bißchen ängstlich, mir Repressalien zuzuziehen. Das mußte ich nicht unbedingt haben. Später kriegte ich aber eine Schadensersatzforderung über 200 Mark von der Senatskommission für das Personalwesen (SKP), weil ich angeblich die Beamten angegriffen hätte. Ich habe dagegen nichts gemacht. Es ist sogar ein Versäumnisurteil gegen mich ergangen (Akte liegt der taz vor). Ich habe deshalb den Nachweis, daß ich von den Beamten geschlagen worden bin, was ja meistens abgestritten wird. Es heißt in der Akte, ich hätte die Beamten angegriffen, und sie hätten zurückgeschlagen. Die Sache ist nur, daß ich zu 100 Prozent schwerbehindert bin (Ausweis liegt der Redaktion vor). Ich bin körperlich gar nicht in der Lage, jemanden anzugreifen – schon gar nicht zwei Beamte.

Sie haben gesagt, Gewalt gehöre im Knast zum Alltag. Was haben Sie mit eigenen Augen gesehen?

Ich habe gesehen, wie Gefangene beim Hofgang Mithäftlinge verprügelten. Die Beamten haben weggesehen. Wenn man sie gefragt hat, warum sie nicht einschreiten würden, haben die nur geantwortet: „Laß' mal, der kriegt jetzt n' Arschvoll, das hat der auch verdient.“Die Beamten gucken duldsam weg. Nach dem Motto: „Wir machen dem Knacki keinen Ärger, kriegen wir auch kein Ärger.“Oder: „Wenn wir nicht einschreiten, haben wir auch keine Arbeit.“Im Lazarett hat einmal ein Mithäftling laut um Hilfe gerufen, weil ihm schlecht war. Der hat erstmal aufs Maul gekriegt, damit er ruhig war. Das war übrigens ein Sexualstraftäter.

Haben es Sexualstraftäter im Knast besonders schwer?

Keine Frage – geschlagen werden alle, aber Sexualstraftäter müssen um ihr Leben bangen. Keiner will etwas mit ihnen zu tun haben. Das ist fast schon Isolationshaft, die sie durchmachen müssen. Alle sind gegen sie – Beamte sowie Häftlinge.

Haben sich die Häftlinge bei der Anstaltsleitung über die Mißhandlungen beschwert?

Beschweren hat überhaupt keinen Sinn. Sie müssen ja weiter mit den Ansprechpartnern und Teilanstaltsleitern auskommen. Sie sind denen ausgeliefert. Wenn Sie Urlaub haben wollen, hängt es letzt-endlich vom guten Willen ab, ob Sie den kriegen oder nicht. Der Ansprechpartner gibt später eine Stellungnahme über Ihre vorzeitige Entlassung ab. Wehe, Sie haben sich mit dem nicht verstanden. Die Leute haben aber gar nicht die Kompetenz, gerecht zu urteilen. Die sind viel zu schlecht ausgebildet. Das Ansprechpartner-System ist mehr Wischi-Waschi für die Öffentlichkeit und nicht zum Nutzen der Gefangenen. Was Hoff wußte, weiß ich nicht. Ich glaube aber, daß er eine Menge gewußt hat. Aber durch seine Gruppenleiter hat er die Verantwortung abgegeben, so nach dem Motto: „Was ich nicht weiß, muß ich nicht verantworten“. Als ich geschlagen wurde, habe ich jedenfalls keine Unterstützung von Herrn Hoff bekommen. Im Gegenteil: Er hat gesagt, daß alles erstunken und erlogen sei.

Haben Sie versucht, andere Stellen über die Vorgänge in Oslebshausen zu informieren?

Ja, ich habe an die Bürgerschaft geschrieben und ans Landgericht. Geschehen ist meines Wissens nichts. Auch das Widerspruchsverfahren, mit dem sich Gefangene zur Wehr setzen sollen, bringt nichts. Das geht dann an den Senat, der arbeitet Hand in Hand mit der Anstaltsleitung. Ja, und dann ist nichts gewesen, und Sie sind der große Buhmann. Gegen die Beamten ist man ein kleines Lichtlein. Rechtlos, im Prinzip, denn niemand glaubt einem Knacki.

Nachtrag:

Auch Justiz-Staatsrat Göbel wollte zunächst nicht glauben, daß Mustermann auf dem Krankentransport geschlagen worden ist, und dementierte. Nach weiteren Recherchen stieß er in den Akten der JVA auf den Vorfall. „Es hat einen Schlagstockeinsatz gegeben“, räumte Göbel ein. „Die Anstaltsleitung hat uns den nicht gemeldet. Das ist ein weiterer Fall von Mißachtung der Dienstvorschriften. Wir werden den Fall jetzt sofort an die Staatsanwaltschaft abgeben.“

Unterdessen hat die CDU Göbels Rücktritt gefordert. Die AfB sieht darin ein „politisches Manöver“. AfB und Grüne wollen, daß Justizsenator Henning Scherf (SPD) seinen Hut nimmt. „In der allgemeinen Diskussion soll der hier verantwortliche Senator geschützt werden, weil er auch als Präsident des Senats dieser Regierung vorsteht. Solche Spiele sind mit der AfB nicht zu machen.“ kes

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