: „Das ist kein Gejammer. Das zeigt Vitalität“
■ Sie kamen zu einem Streitgespräch mit Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) in die taz-Redaktion, die drei LehrerInnen Andreas Kraatz-Röper (37) von der Gesamtschule Mitte, Barbara Larisch (50) vom Schulzentrum in Walle und Gieslinde Naumburger-Burgheim (44) von der Grundschule an der Stader Straße. Sollen LehrerInnen, wie geplant, im kommenden Schuljahr zwei Stunden mehr unterrichten? Diese Frage galt es, in der politisch-pädagogischen Runde zu diskutieren, aber noch viel mehr: Lesen Sie, wie LehrerInen und die Politik über die Schulreform, die Autonomiebewegung an den Schulen und die Bildungspolitik denken.
taz: Frau Kahrs, wenn Sie heute noch Lehrerin wären, wären Sie am Mittwoch letzter Woche zum Streiken auf die Straße gegangen?
Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD): Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Aus heutiger Sicht halte ich es für falsch.
taz: Warum?
Kahrs: Es hat von mir das Angebot an alle Lehrkräfte gegeben, eine alternative Arbeitszeit auf Basis des öffentlichen Dienstes zu organisieren. Es ist sicher nicht unangemessen, zu verlangen, daß LehrerInnen nicht mehr aber auch nicht weniger arbeiten als alle anderen Angestellten und Beamten im Land. Darüber wollte ich konkrete Modelle verhandeln, das ist dann aber mehrheitlich abgelehnt worden.
taz: Und dann haben Sie statt einer Stunde Unterricht, die im Vorfeld diskutiert wurde, gleich auf zwei Stunden mehr erhöht?
Kahrs: Ich habe immer ein bis zwei Stunden gesagt. Ich habe nie diese eine Stunde plus zugesagt. Das Problem ist, daß viele den Doppelbeschluß der Großen Koalition nicht ernstgenommen haben. Die einen (SPD) haben dafür gestritten, daß es ein alternatives Arbeitszeitmodell auf Zeitbasis des öffentlichen Dienstes gibt, die anderen (CDU) für die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung. Beides wäre möglich gewesen. Dann ist das Zeitmodell abgelehnt worden – mit den bekannten Folgen. Dabei sind dann zwei Stunden herausgekommen, weil ich diese Diskussion nicht jedes Jahr wieder führen will. Diese beiden Stunden sollen nun reichen, um auch noch die nächste Legislaturperiode zu erreichen. Nach Beschlußlage des Senats kann das Lehrerarbeitszeitmodell 1998 immer noch eingeführt werden.
taz: Gut zu wissen für die LehrerInnen. Da heißt es also: Selber schuld.
Andreas Kraatz-Röper, GSM: Da muß ich mich jetzt einschalten: Es gab ja Angebote von der GEW, eigene Arbeitszeitmodelle zu entwickeln auf der Basis, daß die Unterrichtsverpflichtung so bleibt wie sie ist. Und gleichzeitig auch darüber zu verhandeln, solidarpaktmäßig Reduzierungen zu sammeln, um neue LehrerInnen einzustellen. Wir sollten diese eigenen Arbeitszeitmodelle aber in so einer kurzen Frist entwickeln, in der es gar nicht zu leisten war. Dann wurden sie gekippt. Dann gab es nur noch das Behördenmodell, das zwei Stunden mehr vorsah. Das ist ja klar, daß wir das nicht annehmen. Da würden wir ja unsere eigene Arbeitszeiterhöhung beschließen.
Gieslinde Naumburger-Burgheim, GS Stader Straße: Außerdem haben wir befürchtet, daß wir uns dadurch auseinander dividieren lassen müßten. Da sollte ja eine differenzierte Bewertungskala für die Lehrer eingeführt werden, die z.B. zwischen Sport- und Deutschlehrern unterscheidet. Das wollten wir nicht akzeptieren.
Kahrs: Da waren viele Befürchtungen, aber die Tatsachen sind anders. Das Modell hat an keiner Stelle gesagt: So und soviel Unterricht muß gegeben werden. Ob die Kollegen auseinanderdividiert werden, ist ein internes Problem. Daß sich Lehrkräfte nicht zutrauen, im Team gemeinsame Belastungen fair zu verteilen, ist ein Armutszeugnis. Außerdem läßt sich aus dem Modell nicht ableiten, daß es zwei Stunden mehr gibt. Wir wollten drei Prozent mehr Effizienz haben, jetzt haben wir acht.
taz: Hätten Sie vor der Auseinanderdividierung früher als Lehrerin auch Angst gehabt, Frau Kahrs?
Kahrs: Ich hätte es als Chance gesehen, endlich mal mit den Kollegen darüber zu reden, wie die Arbeit besser zu verteilen ist.
Barbara Larisch, SZ Walle: Aber dieser Diskussionsprozeß ist doch in den Schulen überhaupt nicht breit geführt worden. Das war zeitmäßig doch gar nicht möglich. Und ich sehe diese Maßnahme jetzt als ziemlich autoritär an. Sie ist außerdem weder dazu geeignet, die Staatsfinanzen zu sanieren, noch mit dem Problem der Arbeitslosigkeit umzugehen und schon gar nicht ist sie in der jetzigen Situation geeignet, den Arbeitsprozeß an den Schulen aufrechtzuerhalten. Vor drei oder vier Jahren hat die Autonomiebewegung an den Schulen begonnen. Da wurde viel an Innovationen gestartet. Das alles kippen Sie jetzt mit solch einem Streich. Sie verteidigen die zwei Stunden ja nichtmal, reden von Ihrem alten Modell positiv und setzen aber diese zwei Stunden durch. Das können wir nicht hinnehmen.
Kahrs: Es war Zeit genug. Die Diskussion um das Arbeitszeitmodell wurde seit Bestehen des Kooperationsvertrages mit der GEW öffentlich geführt. Allen Lehrkräften habe ich auf der Personalversammlung der Lehrer im Pier 2 gesagt: Es gibt nur noch diese beiden Varianten. Nun mir in die Schuhe zu schieben, ich würde Innovationen abbrechen – wo Schule gerade nicht mehr strukturell sondern von innen heraus gedacht wird – ist falsch. Die Reaktionen, die jetzt wie im Trotz erklingen, man würde all das nicht mehr machen, was eine lebendige Schule ausmacht (Klassenfahrten, Projekttage und ähnliches), schlagen letztendlich wieder auf die zurück, die es sagen. Damit ist nun wirklich keine Arbeitszufriedenheit zu erreichen.
taz: Am 30. April waren tausende von LehrerInnen auf der Straße. Da scheint die Stundenerhöhung doch ein Anschlag auf die Motivation gewesen zu sein, wenn gerade auch die Engagierten streiken.
Kahrs: Es gab in diesem Senat vor dem Hintergrund der Finanzsituation keine Chance, das zu vermeiden.
Barbara Larisch: Da sind Sie aber sehr mutlos, Frau Kahrs. Da kann man sich auch anders verhalten. Wenn Sie hinter der Bildungspolitik stehen...
Kahrs: Ich habe ein ganzes Jahr lang Erhöhungen der Unterrichtsverpflichtung verhindert, mit dem Hinweis, daß wir neue Arbeitszeitmodelle wollen. Ich habe es im Senat gegen massive CDU-Kritik durchgesetzt, daß es Zeit für die Entwicklung des Arbeitszeitmodelles ist. Am Ende konnten alle sagen: Frau Kahrs, Ihre gute Hoffnung um die Innovationsbereitschaft der Lehrkräfte in allen Ehren, aber das war ja wohl nichts.
Kraatz-Röper: Ich war bei diesem ganzen Diskussionsprozeß ja sehr lange dabei. Bei der Bildungsbehörde war aber immer dann Schluß, wenn wir von der Schule aus mal einen Arbeitszeitberater ins Haus bekommen wollten. Ich sehe nicht ein, wie eine Schule aus eigenen Kräften und Mitteln andere Strukturen hinbekommen soll, um dann solch empfindlichen Fragen zu klären, wie welche Arbeitszeit bewertet wird. Der Arbeitszeitberater mußte einen Besuch bei uns ablehnen, weil er keinen Auftrag von der Behörde hatte.
Naumburger-Burgheim: Ist das nicht eine Form intelligenten Sparens, die Sie da versuchen...
Kahrs: ...sparen ja, natürlich. Es geht um Effizienz...
Naumburger-Burgheim: Effizienz, genau. In unserem Grundschulbereich können wir aber nicht effektiv arbeiten, weil wir an die Grenze stoßen. Wir hatten vor kurzem ein Hearing zur Arbeitsbelastung von Lehrern. Gerade Grundschullehrer sind hoch belastet. Wir verlieren in unserer Schule jetzt zwei bis drei LehrerInnen. Das heißt: Die Arbeit wird auf noch weniger Schultern verteilt und das ist zum Teil wirklich schädigend für die Gesundheit der Kollegen.
Larisch: Das ist auch schädigend für die Prozesse an den Schulen. Es hat eine riesige Lehrerverschiebung gegeben, jetzt wird wieder verschoben. Wenn aber junge Lehrer eingestellt würden, wenn wir Stunden abgeben, wäre das mit der Motivation schon etwas ganz anderes. Ich bilde seit Jahren für null Stundenentlastung Referendare aus und biete der Behörde jedes Mal Stunden von mir an, um sie hinterher wenigstens mit einigen Stunden an die Schule zu bekommen. Das wird von der Behörde aber jedes Mal abgelehnt. Das geht eine Zeitlang, weil die Lehrer ihren Beruf gerne machen, weil sie begeistert davon sind und weil sie diese Kinder und Jugendlichen lieben. Aber irgendwann ist damit Schluß. Sie müssen sich mal vorstellen, was die zwei Stunden mehr für die Schulen jetzt bedeuten.
taz: Was bedeutet es denn konkret?
Naumburger-Burgheim: Das haben wir den Eltern sehr konkret mitgeteilt, denn sie denken natürlich, daß die Kinder mehr Unterricht hätten. Es ist aber genau andersrum: Wir müssen Förderstunden streichen, Halbgruppenstunden, weil KollegInnen abgezogen werden. Da gibt es Zuweisungsschlüssel, die das vorsehen.
Kahrs: Die Überlastung der Lehrerkräfte kommt nicht primär aus der Länge der Arbeitszeit, sondern die Faktoren sind ganz andere – so habe ich die Aussagen auf dem Hearing zum Thema Arbeitsbelastung verstanden. Die Faktoren sind nämlich solche wie fehlende positive Rückmeldung, wenig Teamarbeit, Einzelkämpfertum und keine Erfolge. Das sind qualitative Momente und daran kann man auch etwas ändern. Man kann auch Zeit einsparen, wenn man andere Arbeitsorganisationsformen wählt. Wir lassen in Bremen eine Studie anfertigen, um Belastungsmomente zu erkennen und möglichst zu vermindern.
Larisch: Wenn Sie gerade von Belastung sprechen: An unserer Schule heißt diese Arbeitszeitverlängerung z.B., daß etliche Kollegen nicht mehr in die Altersstundenentlastung kommen, weil wir eine große Gruppe haben, die bereits Mitte 50 ist. Sie kriegen also dadurch zwei Stunden mehr, plus zwei Stunden mehr durch die lineare Arbeitszeiterhöhung. Und wir müssen an drei verschiedenen Schulen pendeln, diese Pendelstunde fällt auch weg. Das heißt, die Kollegen, die jetzt 55 Jahre alt sind, haben fünf Unterrichtsstunden mehr pro Woche an der Schule. Und wenn es heißt, die Arbeitsbelastungen sind ins Auge zu fassen, dann kann ich das so nicht sehen.
Kahrs: Das ist objektiv falsch, was Sie da behaupten. Diejenigen, die heute aus Altersgründen Stundenentlastungen bekommen, behalten die auch.
Larisch: Aber die, die neu reinkommen, natürlich nicht.
Kahrs: Diejenigen, die jetzt erst 56 werden, sollen nur noch eine Stunde bekommen, mit 58 dann noch zwei. Für die ist es eine Verschlechterung um eine Stunde. Das entspricht auch dem Bundesdurchschnitt. Übrigens liegt die höchste Arbeitsbelastung laut einiger Studien übrigens bei Lehrern im Alter zwischen 35 und 45 Jahren. Das finde ich auch sehr interessant.
Larisch: Aber das hat alles schon eine lange Geschichte, Frau Kahrs. Um die Jahrhundertwende gab es schon eine Altersermäßigung ab 46 Jahren für Lehrer. Das hat sich ziemlich verschlechtert. Sie wissen das doch auch mit den Krankheitszahlen und den Frühpensionierungen bei Lehrern. Wollen Sie, daß das zunimmt? Die Lehrer sind doch nicht bösen Willens.
Kahrs: In den letzten Jahren haben beispielsweise an den Grundschulen Lehrer 26 Stunden unterrichtet, in Bayern waren es immer 28 Stunden. Die anderen waren immer ein bis zwei Stunden schlechter gestellt und das hat aber keineswegs dazu geführt, daß die Arbeitszufriedenheit in Bremen größer und die Belastung niedriger war. Das ist nicht der richtige Diskussionsansatz.
taz: Eh wir auf den Bundesschnitt kommen. Zwei Punkte sind noch nicht geklärt, die viel mit der Motivation der LehrerInnen zu tun haben. Wieso hat die Behörde die LehrerInnen bei den neuen Arbeitszeitmodellen allein gelassen?
Kahrs: Wir haben eine wissenschaftliche Begleitung angeboten. Das Modell lag interessierten Schulen vor.
Kraatz-Röper: Das Grobmodell lag vor. Aber das in der Schule zu organisieren, das wurde nicht unterstützt. Das ist doch ein sehr schwieriger Prozeß, in dem sehr unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen sind, um eine gerechte und gute Lösung zu finden. Ohne direkte Beteiligung von Fachleuten haut das nicht hin. Die wissenschaftliche Begleitung hätte uns beobachtet, aber uns nicht geholfen.
Naumburger-Burgheim: Was wir wegen der Autonomie- und Demokratiebestrebungen in der Schule zu tun haben, ist ohnehin schon viel für die KollegInnen. Wenn die Schulen sich dann auch noch selbst anders organisieren müssen...
Kahrs: Aber muß man sich nicht in jedem Beruf fortbilden?
Larisch: Das tun wir ja. Es werden von Lehrern inzwischen viel mehr Aufgaben wahrgenommen, als nur zu unterrichten. Wir haben Managementaufgaben und Organisationsaufgaben übernommen, die viel Energie verbrauchen. Außerdem braucht man dafür auch Zeit, und jetzt bekommen wir noch zwei Stunden mehr aufgebrummt.
taz: Zurück zu der Frage und der alten Klage aus den Lehrer-Kollegien: Warum wird von der Schulbehörde nicht das Angebot der LehrerInnen angenommen: Wir geben Stunden ab, stellt uns dafür neue Kollegen ein?
Kahrs: Wir haben mit dem Finanzressort mit dem Ziel verhandelt: 100 Prozent der zusätzlich freiwillig abgegebenen Stunden für Neueinstellungen zu vewenden. Als die ÖTV in Hamburg mit 50 Prozent abgeschlossen hat, war bei uns die Situation verhärtet. Zur Zeit kann ich mir nicht vorstellen, daß mein Appell, auf freiwillige Abgabe von Stunden gegen Gehaltsverzicht bei den Lehrkräften ankommt. Trotzdem bleibt die Forderung richtig: Spätestens ab August werde ich an die Schulen appellieren, Stunden abzugeben, um sie zu 100 Prozent für Neueinstellungen zu verwenden. Das mache ich aber nur, wenn ich die Zusage vom Finanzsenator habe.
Kraatz-Röper: Das ist unlauter, zuerst zu erhöhen, was indirekt schon einen deutlichen Gehaltsverzicht bedeutet, und dann noch auf Reduzierungen der Kollegen zu hoffen. Nur jetzt hat das einen Sinn. Und wir müssen gar nicht soviel über gesundheitliche Belastungen reden. Es fehlen 200 Stellen, gerade im Grundschulbereich und die sollen durch die Stundenerhöhung jetzt aufgefangen werden, ohne daß man neu einstellen muß. Das ist eine Politik, die jetzt spart und in zehn Jahren wieder Notprogramme fährt.
Kahrs: Das habe ich im Senat immer wieder vorgetragen. Ich fordere auch für die Jahre 1998/99 wieder 90 neue Stellen ein.
Kraatz-Röper: Um nochmal die Frage zu klären, warum gerade soviele engagierte Lehrer auf die Straße gegangen sind. Das ist ja eine ganz lange Entwicklung gewesen, die gibt es nicht erst seit zwei Jahren, sondern seit 18 Jahren, seit Einstellungstop ist. Das bezieht sich aber auch auf die Gebäude und die Materialien. Die Schulen sind so marode, daß man sich das gar nicht mehr vorstellen kann. Dann wurden in unserer Schule in den letzten drei Jahren allein 340 Stunden weggestrichen. Trotzdem machen wir Innovation, aber wenn die Mittel dazu fehlen, dann ist irgendwann Schluß. Und dann werden wir auch noch mit zwei Stunden mehr bestraft.
Kahrs: Es ist natürlich auch die Frage, ob es ein Stückchen Realitätsverlust in den Köpfen der Lehrkräfte gibt – vor dem Hintergrund der Situation, die wir in der Stadt haben. Unsere extrem schwierige Haushaltsnotlage ist an den Schulen abzulesen. Da wird der Stadtreparaturfonds Abhilfe schaffen. Wir geben jedoch in Bremen pro Schüler mehr Geld als alle anderen Bundesländer für Lehrkräfte aus.
Kraatz-Röper: Ist ja klar, junge Lehrer wären ja auch viel billiger als alte.
Kahrs: Ist ja richtig. Ist ja so. Es ist aber im Senat und in der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, daß man die Personalausstattung noch wesentlich verbessert...
Kraatz-Röper :... aber wenn die Lehrer dazu bereit sind, zu verzichten. Wir haben ja nicht von massiver Verbesserung geredet, wir lehnen ja nur die zwei Stunden ab und fordern Neueinstellungen. Die muß es geben...
Kahrs: ... Neueinstellungen bei Gehaltsverzicht, das sage ich Ihnen zu. Ich will damit im Augenblick als Appell nicht kommen, weil es in den Schulen nicht verstanden würde. Spätestens im August will ich das aber mit dem Finanzsenator verläßlich vereinbart haben. Ich werde versuchen, daß die abgegebenen Stunden zu 100 Prozent in neue Stellen fließen. Zum 1.2.98 könnten neue Einstellungen realisiert werden.
Naumburger-Burgheimer: Legen Sie dann auf die 100 Mark, die wir in den Topf werfen, noch hundert Mark drauf?
Kahrs: (sagt nichts)
taz: An dem Argument Bundesdurchschnitt ist doch was dran: Wir werden schließlich von den anderen Ländern mitfinanziert, und können nicht nach Karlsruhe laufen, wo man uns dann sagt: Schaut euch mal die Lehrerrelationen an.
Naumburger-Burgheim: Gut. Das ist ein sehr populistisches Argument und auch nur ein politisches Argument, das nicht aus pädagogischer Sicht zu sehen ist. Wenn man sich vor Ort die Kollegen ansieht, und deren Belastungen, dann sieht das schon ganz anders aus. In anderen Bundesländern haben sie Entlastungsstunden noch und nöcher. Ja, wirklich. Und sie haben sowieso mehr Feiertage als in Bremen.
Larisch: Ich finde es äußerst müßig, Nichtvergleichbares ständig zu vergleichen. Die Schulen in Bayern sind viel hierarchischer strukturiert. Wir müssen doch wenigstens ein Stück weit an unserer Schulreform festhalten – die Schulbehörde hat dazu ja auch ein neues Schulgesetz gemacht – aber dazu brauchen wir die materielle Basis. Die Lehrer jammern ja nicht immer nur. Wir wollen ja in dieser Richtung weitermachen.
Kraatz-Röper: Wir haben soviele Sachen mitgemacht, da wurde hin- und hergeschoben und wir haben immer noch Lösungen gefunden. Aber jetzt ist wirklich Schluß. Ende der Fahnenstange.
Naumburger-Burgheim: Wir haben uns ja nicht nur in der Schule engagiert sondern auch im Lebensraum der Schüler, haben gegen die Schließung des Stadionbades und die Schließung der Stadtteilbibliothek in der Östlichen Vorstadt demonstriert. Das wurde immer mehr. Und da sagt man sich irgendwann: Jetzt reicht es.
taz: Ihre Wut geht jetzt soweit, daß Sie alle Mehrarbeiten wie Klassenfahrten, Projekttage oder Gremienarbeit erstmal aus Protest eingestellt haben. So hat es die Personalversammlung der Lehrer beschlossen.
Larisch: Da bin ich zum Beispiel nicht dafür. Das ist umstritten.
Naumburger-Burgheim: Bei uns wird es so kommen, daß wir Luxusartikel wie Schulgarten oder Schullandheim überdenken müssen. Wenn unsere Schulkonferenz beschließt, die Energie lieber in Unterrichtsstunden zu stecken, dann wird es so kommen.
Kraatz-Röper: Sicherlich mag es Kollegen geben, die sagen: Endlich brauche ich nicht mehr solche lästigen Sachen zu machen. Aber die meisten sehen es eher als Drohung bis zum Sommer, weil sie auf eine positive Lösung hoffen. Das wird ja nur rausgepickt, um den Lehrern wieder eines draufzugeben.
taz: Nun steckt der Keil zwischen LehrerInnen und Behörde fest. Das Arbeitszeitmodell ist nicht angenommen worden...
Kahrs: Weitere acht Schulen haben sich gemeldet, es auszuprobieren. Aber wir werden es an mindestens drei Schulen erproben. Ich habe jetzt das politische Problem, das bei der CDU durchzusetzen. Die verhalten sich so: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
taz: Wir hätten heute wohl besser noch den Finanzsenator dazuladen sollen
Kraatz-Röper: Den Finanzsenator und auch andere CDU-Politiker. Denn gerade sie benutzen doch die Zahlen aus dem Bundesdurchschnitt so, daß sie ihre CDU-Linie durchsetzen können. Und das heißt: Die Idee von der Gesamtschule wird verlassen. Die CDU will wieder Gymnasien, Real- und Hauptschulen extra haben. Dazu werden jetzt sogar Schulen gegen jede Vernunft zusammengelegt. Die vorgeblichen Einspareffekte sollen nur dazu benutzt werden, um diese Linie durchzusetzen. Dabei werden – nur als ein Beispiel – bei den Zahlen zur Schüler- und Lehrerrelation immer auch Lehrer mitgerechnet, die eigentlich in der Behörde sitzen.
Kahrs: Es gibt nur noch wenige abgeordnete Lehrkräfte in der Behörde. Auch nach Abgleich der Zahlen liegen wir noch ganz vorn in der Statistik. Sie müssen doch endlich mal die Zahlen, wie sie sind, so zur Kenntnis nehmen.
Naumburger-Burgheim: Aber unsere KollegInnen haben einfach Angst, daß sie ihren Bildungsauftrag nicht mehr zufriedenstellend erfüllen können, denn die Klassen werden zu groß, die Haushaltsmittel sind längst zu knapp und die Anzahl der KollegInnen an den Schulen würde nach der Arbeitszeitverlängerung geringer werden.
Kahrs: Das sind doch Phobien, die Sie da entwickeln. Diese Ängste und Befürchtungen schaden den Schulkindern. Schauen Sie doch mal, was Sie alles an guten Projekten machen. Bringen Sie das doch mal selber nach außen. Ich höre dagegen nur das Miesmachen der eigenen Situation.
Naumburger-Burgheim: Ich habe aber von meinen Kollegen aufgetragen bekommen, Ihnen zu sagen, daß sie etwas anderes von Ihnen erwarten: Nämlich, daß Sie sich als Dienstherrin unseres Berufsstandes für uns in der Öffentlichkeit einsetzen, daß Sie ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen.
Kahrs: Es gibt kein Interview, in dem ich nicht mindestens einmal sage: Mir ist die Belastung der LehrerInnen bekannt. Ich weiß, daß die Schulen nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen können. Trotzdem müssen sie versuchen, nach Kräften mit den Anforderungen umzugehen. Es gibt bei Ihnen aber auch ein Überbedürfnis an Streicheleinheiten.
Larisch: Das sind ja oft nur so Redewendungen: Ich habe Angst. Das heißt ja nur, daß Befürchtungen zu Recht formuliert werden. Das ist kein Gejammer, das ist auch ein Zeichen von Vitalität, wenn man sich gegen Mißstände wendet.
Kraatz-Röper: Wir würden uns hier gar nicht unterhalten müssen, wenn mehr jüngere Lehrer da wären. Die gäben jede Menge an Innovations- und Motivationsschub.
Kahrs: Wir stehen aber auch beim Bund in der Pflicht. Wir müssen über unseren Haushalt Rechenschaft ablegen.
Larisch: Es ist traurig. Man müßte stolz darauf sein, daß man für Bildung Geld fordert und ausgeben darf. Da muß eine Umverteilung her.
Kraatz-Röper: Ja, genau. Es ist eine Investition und keine Konsumtion und dann kann man mit dem Geld schon wieder ganz anders umgehen.
Kahrs: Wenn wir jetzt anfangen, grundsätzlich politisch zu diskutieren, geht es um die Prioritätensetzung. Wofür wird in dieser Republik Geld ausgegeben? Die Kommunen versacken in Sozialhilfe. Die Bundesregierung setzt die falschen Instrumente ein, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wenn hier nicht ein Bundesprogramm angeschoben wird, um Beschäftigung zu organisieren – das schafft Bremen als kleines Land nicht von allein – dann kommen wir da nicht raus. Natürlich wäre ich froh, wenn ich neue Lehrer einstellen könnte. Natürlich wäre ich das.
Das Gespräch führten Jochen Grabler und Katja Ubben
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