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„Ich kann nicht die Türen auf- und zuschließen“

■ Justizsenator Scherf denkt nicht an Rücktritt – das Justizressort will er behalten

Herr Scherf, Sie haben sicher anstrengende Tage hinter sich...

Henning Scherf:...Ja, aber das ist auch kein Job für Leute, die sich erholen und eine ruhige Kugel schieben wollen.

Ihr Staatsrat, Michael Göbel, ist zurückgetreten. AfB und Grüne werfen Ihnen jetzt vor, Sie hätten ein Bauernopfer gebracht und fordern Ihren Kopf. Haben Sie in den letzten Tagen darüber nachgedacht zurückzutreten?

Nein. Das ist doch eine klassische Oppositions-Forderung. Jede Opposition schreit in einer solch' schwierigen Lage: „Weg mit dem politisch Verantwortlichen.“

Und warum treten Sie nicht zurück, wenn Sie der politisch Verantwortlich sind?

Ich finde, jede Regierung muß sich an so einer Forderung abarbeiten. Die ans Tageslicht gekommenen Vorwürfe müssen abgearbeitet werden. Es muß ein überzeugendes Konzept erarbeitet werden...

Haben Sie ein Konzept?

Das werde ich in der nächsten Woche der Bürgerschaft vorstellen. Das ist ein richtig großes parlamentarisches Ereignis, und ich bitte Sie, zu kommen. Da erkläre ich den Abgeordneten, was wir bereit sind zu machen. Vorher gibt es keine Erklärung.

Ein Rücktritt hat Signalwirkung. Wenn der Justizsenator zurücktreten würde, hätte das mehr Gewicht.

Ich habe mir die ganze Zeit darüber Gedanken gemacht, wie kann man das abstellen. Ich habe zuwenig Zeit. Kein Mensch kann von mir erwarten, daß ich da jeden Morgen im Vollzug die Türen auf- und zuschließe.

Wenn Ihre Zeit als Bürgermeister und Justizsenator so knapp ist, warum geben Sie das Ressort nicht an einen Senator ab, der sich ausschließlich um das Justizressort kümmert?

Wir beweisen, daß wir mit acht Senatsmitgliedern versuchen, das auch hinzukriegen...

Aber, es klappt nicht...

...wir wollten beweisen, daß wir nicht nur bei den Kleinen sparen, bei den Putzfrauen, sondern auch bei den Großen. Wir wollten die Arbeit im Senat zusammenfassen. Deshalb hat von uns jeder ausgesprochen viel am Hacken. Die Frauen haben Riesen-Ressorts. Fast jeder von uns hat Arbeit für mehrere...

Aber es hat sich gezeigt, daß Sie die Mehrarbeit im Justizressort nicht bewältigen konnten.

Es zeigt sich hier gar nichts. Das behaupten Sie als Journalistin. Die Opposition behauptet das, aber es zeigt sich hier gar nichts.

In Oslebshausen ist also nichts passiert?

Doch, aber ich halte es für wahrscheinlich, daß das auch passiert wäre, wenn es einen Senator gegeben hätte, der sich nur um Justiz gekümmert hätte.

Göbel ist gegangen. Wenn die Bauern gehängt sind, geht die Jagd auf den König los.

Der geht aber nicht. Man muß das aushalten, wenn man kritisiert wird und auch solche Rücktrittsforderungen. Ich will nicht sagen, wie viele ich davon schon erlebt habe. Dann würde Sie das nicht wundern, daß ich so gelassen damit umgehe. Warum ist es in der JVA Ihrer Meinung nach zu solchen Übergriffen gekommen?

Nicht die ganze JVA ist in der Krise, sondern nur Teile. Man muß die Kraft haben zu differenzieren. Die Teile, die nicht in Ordnung sind, denen muß man das Handwerk legen. Aber die anderen, die da eine unangenehme Arbeit machen, mit sehr unangenehmen Leuten, die niemand haben will. Man muß sich davor hüten, zu generalisieren. Das ist meine Aufgabe. Ich muß dem entgegentreten, wenn die Leute sagen, der ganze Knast ist ein einziges Chaos. Es sind Vorkommnisse gewesen, die sich gehäuft haben...

Eben, zehn Beamte sollen in 18 Fällen Gefangene geschlagen haben. Das sind nur die, die erwischt worden sind. Wie konnte es dazu kommen? Ist die Liberalisierung des Strafvollzuges in Bremen gescheitert?

Ich bin davon überzeugt, daß das nicht alles über Bord geschmissen werden muß. Aber es ist nicht gelungen, diese Gruppe – das ist eine Schicht in der Untersuchungshaft – so zu kontrolliert, daß man das hätte abstellen können. Und nun muß man im Strafverfahren und im Disziplinarverfahren herausfinden, wer dafür die Verantwortung trägt. Danach muß man alles dransetzen, sowas in Zukunft zu vermeiden.

Es soll auch Mißhandlungen in der Strafhaft gegeben.

Das weiß ich nicht.

Sie haben gesagt, die Beamten hätten einen unangenehmen Job. Sind sie überfordert?

Ihr denkt immer, ich würde das Urteil vorwegzunehmen. Ich muß die Kraft haben, die Verfahren erst abzuwarten. Ich kann doch keine Vorverurteilung machen.

Aber Sie könnten sich Gedanken darüber machen, woran es gelegen haben könnte.

Ich mache keine abschließenden Beurteilungen, erst wenn die Verfahren abgeschlossen sind. Dann muß man sehen, wie man das in Zukunft verhindert.

Die Häftlinge haben versucht, auf die Übergriffe aufmerksam zu machen. Im November 1995 haben zwei Sexualstraftäter Ihnen einen Brief geschrieben. Es gibt einen Bericht, der verschwunden ist und eine Strafanzeige, die nie bei der Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Hätten die Übergriffe verhindert werden können, wenn der Justizsenator diese Hilfeschreie gehört hätte?

Verdächtigungen gibt es eine Menge. Man muß da höllisch aufpassen. Wenn Sie die alle für bare Münze nehmen, können Sie nur Reißaus nehmen.

Ein Jahr nachdem die Häftlinge Ihnen geschrieben haben, sind aber tatsächlich vier Sexualstraftäter fast zu Tode geprügelt worden. Die Briefe hätten eine Warnung sein können.

Das ist eine rein hypothetische Frage, die macht keinen Sinn. Da habe ich keine Lust zu.

Die Frage drängt sich aber auf.

Ich habe keine Lust, hier mit Ihnen zu spekulieren.

Interview: Kerstin Schneider

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