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Nebenniere auf Höhenflug

■ Am Himmel über Uetersen: Ein Segelflug-Wochenende nur für Frauen

Unter den Wolken, hatte Friederike gedacht, müßte das Adrenalin nur so aus den Nebennieren quellen – müßte der Bauch kribbeln und die Freiheit grenzenlos sein. Beschauliches Gleiten über Rübenäcker und Neubausiedlungen hatte sie nicht erwartet. Die 90 Stundenkilometer Reisegeschwindigkeit sind kaum zu merken, der Fallschirm kneift an den Oberschenkeln.

„Schön war's schon“, druckst die 23jährige nach der Landung. „Aber irgendwie hätte ich's mir spannender vorgestellt.“Immerhin klang das Angebot des Segelflug Clubs Uetersen (SCU) nach Abenteuer: „Flieg, Frau!“forderte der Verein in einer Anzeige und damit 14- bis 26jährige auf, drei Tage in der Luft zu verbringen. Die Scheu vor der Bodenlosigkeit sollte schwinden, der Wunsch nach Wiederholung wachsen. Denn Segelflieger gehören zu denjenigen Sportlern, bei denen selbst tazlerInnen auf die weibliche Endung mit dem großen I verzichten: 90 Prozent der Aktiven sind Männer.

„Da lassen sich ja mehr Frauen beim Boxen auf die Nase hauen“, wundert sich SCUler Björn Matthies. Und das, obwohl Segelfliegen kein Muskel-, sondern ein Kopfsport sei. „Eine Frauenquote von einem Viertel“, meint Matthies, „wäre für uns ide...“Ideal, wollte er wohl sagen – wäre nicht gerade das Seil gerissen, mit dem eine Winde die Flugzeuge in die Höhe zieht. Der Flieger, der dranhing, torkelt in der Luft, Atemanhalten auf dem Startfeld. „Das muß ein fieser Tod sein“, kommentiert Friederike. „War das eben ein Schrei oder nur der Wind?“

Vermutlich letzterer, denn das Flugzeug hört zu wackeln auf und steigt. Aufatmen am Boden. „Sowas passiert eben mal“, beruhigt Matthies sich und die anderen. Dennoch sei Segelfliegen die sicherste Sportart überhaupt. Trotzdem erklärt er den Anfängerinnen, wo sie die Tragflächen nicht berühren sollten. Erklärt, wie Fallschirme festzuschnallen, Startkommandos zu geben und die Armaturen zu lesen sind. Ausbilderinnen hat der SCU nicht.

Macht nichts, findet die 23jährige Bettina. „Ich bin nicht hier, weil's ohne Männer ist.“Nicken allenthalben. Die meisten Teilnehmerinnen gehen wegen des Preises an diesem Wochenende in die Luft: Mit 120 Mark für drei Tage ist „Flieg, Frau!“günstig, verglichen mit dem Vereinsbeitrag. Der SCU nimmt 300 Mark Aufnahmegebühr, das gleiche nochmal jährlich. Fliegen kostet zusätzlich. Klingt teuer, ist es aber nicht, meint Björn Matthies. „Und wer viel in der Werkstatt arbeitet, bekommt Fluggebühren gutgeschrieben.“

Schuften ohne Ende ist kein Problem auf dem Startfeld. Der sportliche Teil des Luftgleitens spielt sich hauptsächlich am Boden ab. Fast 350 Kilogramm Flieger müssen geschoben werden, der Weg von der Garage zum Start ist zwei Kilometer lang. „Heute abend haben wir Muskelkater ohne Ende“, prophezeit eine Teilnehmerin. „Aber es ist klasse.“Spricht's und flitzt los, den Flieger, Typ „Rhönlerche“, zum Start zu schubsen.

Segelfliegen kostet Zeit, weil mehrere sich ein Flugzeug teilen. „Wenn man den ganzen Tag hier ist, startet man selbst vielleicht fünf Mal“, erzählt Matthies. Jeder Flug dauert etwa zehn Minuten. „Viel zu kurz“, findet Christine. Sie will am liebsten sofort wieder in die Luft, nachdem der Bammel des ersten Starts verschwunden ist. „Schmetterlinge im Bauch“hatte sie vor dem Abflug, und als es dann losging – „da hatte ich gar keine Gefühle mehr.“Aber schön war's, im nachhinein.

Den Theorieunterricht könnte sich Björn Matthies deshalb schenken, findet die Mehrheit. Die 15jährige Katharina weist vage auf die Armaturen der „Rhönlerche“: „Das da vorne ist, glaube ich, wie hoch man fliegt.“Außerdem steuere ja der Ausbilder, und „zum Mitfliegen braucht man keine Theorie.“ Judith Weber

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