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Sammelhut für die Hutfabrik

„Gubener Hüte“ droht die Pleite. Durch Privatspenden soll der Traditionsbetrieb gerettet werden – und durch Selbstausbeutung der Belegschaft  ■ Von Constanze von Bullion

Guben (taz) – Zwei Fingerbreit über den Augenbrauen muß er sitzen. Locker lüften soll man ihn, wenn Damen vorbeikommen. Um ihn dann „genau mittig“ wiederaufzusetzen. „Für so was muß man die nötige Würde entwickeln“, hat Andreas Eckert festgestellt. Der „Hutträger seit zwei Wochen“ ruckelt noch etwas unbeholfen am graubraunen Filzmodell auf seinem Kopf. Zwischen menschenleeren Backsteingebäuden, neben einem Haufen ausrangierter Büromöbel und rostiger Wasserkessel ist der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Guben zum Schaulaufen angetreten. Weil er den Traditionsbetrieb „Gubener Hüte“ vor dem Konkurs retten will – ganz unkonventionell.

„Zwanzig Mark je Einwohner – das wäre kurzfristig der notwendige Betrag“, steht auf seinem Aufruf an die „Bürger, Unternehmer, Vereine und Kirchengemeinden“ von Guben. Eine halbe Million will der 37jährige in der Grenzstadt an der Neiße lockermachen, damit die bankrotte Hutfabrik ihre 56 entlassenen Mitarbeiter wieder einstellen kann. Den BesucherInnen des Europafestes hat Andreas Eckert seinen Spendenaufruf kürzlich in die Hand gedrückt. Zeitungen und Presseagenturen hat der Exkrankenpfleger alarmiert.

Einen frischgedruckten Zehnmarkschein hat eine Dame aus Beeskow geschickt. Weil sie, so ihr handverzierter Brief, ein „ausgesprochener Hutfan“ sei. Bei einer Wohnungsbaufirma in Guben ist man mit der Mütze rumgegangen. Da kamen 800 Mark zusammen. 1.000 Mark hat ein unbekannter Berliner kredenzt. Über 5.000 Mark seien inzwischen auf dem Spendenkonto eingegangen, erzählt der rührige Stadtverordnete. Die Hutfabrik nur mit Privatspenden retten zu können, „das grenzt allerdings an Utopie“.

Der Mann mag recht haben. Daß einiges passieren muß in den meterhohen Produktionshallen der Gubener Hüte, ist nicht zu übersehen. Mitte des letzten Jahrhunderts wurde der Betrieb in der Hutstadt Guben gebaut. Der Schneidersohn Carl Gottlob Wilke machte aus dem Familienbetrieb ein Großunternehmen. 13 Hutfabriken, 14 Hutläden und 19 Putzmacherinnen hatten sich bis 1925 in der Kleinstadt angesiedelt. Die erfolgreichen Modemacher der Weimarer Republik hinterließen der Nachwelt ein kleines Hut-Imperium – und jede Menge vorsintflutlicher Maschinen. Zu DDR- Zeiten verkaufte der VEK Gubener Hüte seine Filzdeckel an Russen und Bulgaren, Tschechen und Mongolen. 4,8 Millionen Hüte verließen auch nach der Wende noch jährlich das Werk.

Hunderte von halbfertigen Filzkappen, sogenannte „Stumpen“, stehen wie bunte Pilze auf dem Boden. Warten darauf, mit einer Mischung aus Wasser, Ameisensäure, Schwefel und Salmiak bedampft zu werden. Hutmachen ist ein giftiges Handwerk. Und ein anstrengendes. Bis zu 90 Arbeitsgänge sind notwendig, bis ein Haufen Kaninchenhaar gereinigt und gelüftet ist, bis ein schlabberiger Filzbeutel gewalkt, gepreßt, in Hutform gezogen und mit Borten garniert ist.

80 Prozent der Angestellten sind Frauen, alles gelernte Hutmacherinnen. Nicht wenige arbeiten schon seit über 20 Jahren im Betrieb. Die Entlassungswellen haben vor allem die älteren überstanden. Wer geblieben ist, gibt sich mit zehn bis elf Mark Stundenlohn zufrieden. Und hat hingenommen, daß seit drei Monaten kein Pfennig Lohn mehr ausgezahlt wurde. Die Kündigung lag dann trotzdem im Briefkasten. Am 2. Mai erklärte die Geschäftsführung: Der Laden ist pleite.

„Wir haben jedes Jahr eine Million Schulden gemacht“, weiß Hauptbuchhalterin Veronika Fuchs. Die resolute Dame versucht zu retten, was zu retten ist im Hutwerk an der Neiße. Und bemüht sich nach Kräften, ihre Wut runterzuschlucken. Die Wut auf die Treuhand, die den Betrieb 1990 übernahm und Investitionen versprach. Die Wut auf den Kaufmann aus Nordrhein-Westfalen, der die Firma verkleinern und verlegen wollte. Und wertvolle Jahre mit fruchtlosen Verhandlungen vertrödelt, um das ganze Projekt schließlich aufzugeben. Und das Feld den Banken und der Sparkasse überließ.

Die Herren in den Schalterhallen haben inzwischen weitere Kredite gestoppt. Der neue Gesellschafter der alten Fabrik, eine Gubener Wohnungsbaufirma, sucht trotzdem nach weiteren Geldquellen. „Weil“, so meint Veronika Fuchs, „man eben ranklotzen muß, auch wenn zwischendurch mal Tiefschläge kommen.“ Ranklotzen, das heißt: den Betrieb um zwei Drittel verkleinern, das heißt: mindestens zwei Millionen für die nächsten anderthalb Jahre auftreiben. Und es heißt, daß die Angestellten weiterhin auf Lohnsteigerung verzichten, gekürzten Urlaub und eine Streichung des 13. Monatsgehalts hinnehmen.

Daß aus den Gubener Hüten tatsächlich noch mal was werden könnte, erfuhr die Geschäftsführung am letzten Freitag. Das Brandenburger Wirtschaftsministerium signalisierte, man werde „die Möglichkeiten einer Bürgschaft prüfen“. Prompt wurden die Kündigungen für die Hutmacherinnen zurückgenommen. Diesen Montag stehen sie wieder an Walzen und Pressen, machen Seppelhüte für die Bayern und Herrenhüte für C & A.

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