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Der Anwalt – vom Prozeßhansel zum Schlichter

■ Rechtsanwälte bastelten auf dem Anwaltstag an einem neuen Berufsbild. Mit der außergerichtlichen Streitschlichtung sollen sie eine neue Aufgabe übernehmen

Frankfurt/Main (taz) – „Eine friedliche und einträchtige Welt ist der geheime Alptraum aller Militärs und Advokaten“, unkte einst der US-amerikanische Autor Norman Mailer. Jetzt wollen die Anwälte weg von ihrem Image als „Prozeßhansel“. Mit der außergerichtlichen „Streitschlichtung“ soll den Anwälten eine neue Aufgabe übertragen werden. Dies forderte der Deutsche Anwaltverein (DAV) auf dem von 1.200 Teilnehmern besuchten „Anwaltstag“ in Frankfurt, der am Wochenende zu Ende ging.

Doch wollen die Anwälte die neue Aufgabe wirklich übernehmen? Jenseits der markigen Presseerklärungen („Streitschlichtung ist Anwaltssache“) müssen die DAV-Funktionäre erst noch ihre Basis vom neuen Kurs überzeugen. Das Thema Streitschlichtung wurde in Frankfurt auch nur deshalb diskutiert, weil es die Politik quasi auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Noch in dieser Legislaturperiode will der Bundestag ein Gesetz verabschieden, das den Ländern den Einstieg in eine verbindliche Streitschlichtung erlaubt.

Mit dieser „Experimentierklausel“ werden dann wohl fast alle Bundesländer anordnen, daß vor bestimmten Zivilprozessen erst einmal eine gütliche Einigung versucht werden soll. Gedacht ist derzeit an Bagatellverfahren mit einem Streitwert bis zu 1.000 Mark und an nachbarrechtliche Konflikte, etwa um die Höhe des Gartenzauns. Die Länder wollen damit vor allem die Gerichte entlasten, auch um Richterstellen abbauen zu können.

DAV-Präsident Felix Busse fürchtet jedoch „ein Fiasko“ – für die Anwaltschaft. Denn diese Bagatellsachen machen immerhin elf Prozent aller Zivilstreitigkeiten aus. Würden diese von juristischen Laien oder pensionierten Richtern erfolgreich geschlichtet, dann würden der Anwaltschaft rund 200.000 Mandate pro Jahr verlorengehen. Und das in einer Zeit, in der jedes Jahr rund 6.000 neue Anwälte auf den Markt drängen. Die DAV- Forderung lautet daher: Wenn ein obligatorisches Güteverfahren eingerichtet wird, dann sollen ausschließlich Anwälte als Schlichter tätig werden dürfen. Nur die Anwälte hätten das erforderliche rechtliche Fingerspitzengefühl.

Dennoch war die Stimmung in Frankfurt mehr als zögerlich. Die Anwälte wissen, daß sie mit dieser Forderung auch die Bereitschaft signalisieren, dem Projekt Schlichtung zum Erfolg zu verhelfen. Viele Advokaten lehnen die „Zwangsschlichtung“ allerdings nach wie vor ab. „Warum sollen wir die Bürger zu ihrem Glück zwingen?“ fragte einer der Teilnehmer. „Wenn sich ein Kläger im Recht glaubt, dann bringt ihm ein vorgeschaltetes Güteverfahren nur Zeitverlust und Kosten“, bemerkte ein anderer.

Doch trotz aller Gemeinnutz- Rhetorik geht es wohl auch den Skeptikern vor allem ums Geld. Denn die Schlichtung muß im Interesse der Bürger deutlich billiger als ein Gerichtsverfahren sein. Laut DAV-Modell würden die Anwälte pro Güteverfahren nur 200 Mark Pauschalhonorar erhalten. Das deckt bei vielen Anwälte nicht einmal die Kosten. Doch DAV-Chef Busse, ein abgebrühter Standespolitiker, warnt: Schon einmal habe die Anwaltschaft vermeintlichen „Kleinkram“ links liegenlassen – und damit dem neuen Beruf des Steuerberaters den Weg geebnet. Christian Rath

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