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Lebenslauf mit Hölderlin

Materialschlacht: In Neustrelitz wurde „Deutschland den Doofen“, ein Theaterstück nach der Neonazi-Biografie des Ingo Hasselbach, uraufgeführt  ■ Von Hartmut Krug

Aufgeplustert springen sie in Bomberjacken mit martialischen Sprüchen auf der Stelle: Neonazis, in Aktion fürs Fernsehen. Doch das Licht ist zu schlecht. Dunkel wie auf dem Schlachtfeld bei Halbe, wo sich Jugendliche aus dem Waldboden mit Stahlhelm und Ledermantel die Reliquien einer vergangenen Zeit graben.

Die Hauptfigur in Volker Lüdeckes Schauspiel „Deutschland den Doofen“ schaut zurück auf eine Jugend, in der dieser Ingo glaubte, eine Zukunft für sich und Deutschland zu erblicken. Lüdecke erzählt keinen Lebenslauf nach, sondern er benutzt Motive der Biografie des Ingo Hasselbach, ehemaliger „Parteivorsitzender der Nationalen Alternative“, Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene (als Buch unter dem Titel „Die Abrechnung. Ein Neonazi steigt aus“ erschienen) zu einer theatralischen Collage. Theater als Befragung eines Lebensgefühls, in Zeitsprüngen durch Vergangenheit und Gegenwart, vorgetragen im trockenen Journalistendeutsch. Blitzlichter werden auf eine Biografie geworfen, Szenen erhellen sich gegenseitig: der Vater DDR- Journalist, der die Familie wohl aus ideologischen Gründen früh verließ. Ingos Weg in die rechte Szene, in die DDR-Einzelhaft, in die Wehrsportgruppe nach der Wende, zur Vortragsreise in die USA nach seinem Ausstieg, die Annahme der Rolle eines in ängstlicher Selbstsicherheit vor den einstigen Genossen abtauchenden Aussteigers. Szenen als Material. Manchmal zu erklärungswütig, immer aber nur Bruchstücke.

Auf der Bühne eine metallische, spiegelblanke Schräge, gleichermaßen Bartresen wie Seziertisch. Dahinter eine riesige, segmentierte Viodeowand, auf der ohne Ton eine Interviewsituation und dann die Ankunft eines Flugzeugs zu sehen sind. „One silver dollar“ wird gesungen und zugleich ein Text eingesprochen über das kriminelle Kind, das Fürsorge ablehne. Von Regisseur Peter Staatsmann wird die Szene, in der der Vortragsreisende Ingo in einer New Yorker Bar auf einen alten Emigranten aus Polen trifft, szenisch bis zur totalen Undeutlichkeit aufgemotzt. Hier traut ein Regisseur seinem Autor nicht: Er schreibt ihm Gags und Sprüche hinzu, er schüttet über den Texten des Autors eine Fülle von Material der Politik und Philosophie aus. Theater soll nicht erklären. Aber es kann nicht schaden, wenn es klarmacht, was es zeigen will. Regisseur Peter Staatsmann ist ein gebildeter Dramaturg: Das bekommt der Inszenierung nicht. Denn natürlich wird die Zerrissenheit des Hölderlinschen Hyperion zitiert, es wird mit Versen aus der Alkestis über den Tod hantiert, und jede Szene wird zum Rätselbild.

Ingo mit seinen Schülern beim Schulungskurs: eine kleine, konkrete Szene, in der Inszenierung mit Wagner-Musik und fünf pelzbemäntelten Walküren angereichert. Während Ingo von der Droge Heroin erzählt, rutscht er an einem mächtigen Schwert zu Boden. Wenn sich bei Lüdecke zwei Neonazis in einer aufgeladenen Szene über Mann- und Frausein unterhalten und die Angst vor der eigenen Homosexualität durch die Szene schwebt, dann fehlt in der Inszenierung die reale Gewalttat, mit der sich die Männer von ihrer Angst zu befreien versuchen. Dafür erscheinen die beiden Neonazis in fluoreszierenden Totenkopfkostümen und spritzen wie Ejakulierende aus ihren Bierflaschen...

Klug allerdings, die Steinigung eines Obdachlosen ebenso zu streichen wie die mehrfach eingefügten kleinen „Projektionsszenen“ mit einem Chor maskierter und kommentierender Neonazis.

Autor Lüdecke hat drei Intermezzi in sein Stück über einen zwischen Wünschen und Agressionen, Ängsten und Hoffnungen orientierungs-, aber nicht halt- oder haltungslos hin- und herschwankenden jungen Mann eingefügt. Szenen, in denen DDR-Bürger vor und nach der Wende den Neujahrstag feiern. Geschichte wird als unabgeschlossener und unbewältigter Prozeß ausgestellt. Zunächst die Vision vom neuen Deutschland mit den bekannten Phrasen, in die ein Stones-Song eindringt, schließlich die Auseinandersetzung mit erlebter sozialistischer Geschichte als angeblich erlittene, bis ein kleiner Mensch, Zwerg oder Kind, mit Hitlers Worten über das zukünftige Deutschland spricht.

Die mittlere Neujahrsszene gelingt Regisseur Staatsmann auffallend gut. Auf der Videowand laufen Berliner Bauweltprojektionen (wohl aus der Info-Box am Potsdamer Platz), während alte Genossen auf einer Plattform in der Luft ihren Erinnerungen nachhängen –, bis eine Stasi-Akte die Plattform zu Boden bringt. Ein kluger Einfall auch, eine Gruppe Jugendlicher mit vorgehaltenen Fotos Kinderverse wie literarische und theoretische Texte aufsagen zu lassen. Das ergibt eine szenische, wenn auch überstrapazierte Brechung, die dem Stück den allzu erklärenden Charakter nimmt.

Schauspielerisch schwankt das Niveau der Aufführung heftig. In Neustrelitz, dem 30.000-Einwohner-Städtchen inmitten der Müritzer Seenlandschaft, hat sich am 500-Plätze-Theater, das einst den Namen von Friedrich Wolf trug, ein engagiertes junges Team zusammengefunden. Viele kommen aus der freien Szene Berlins, und man will deutlich eine neue Form, wenn nicht politischen, dann doch gesellschaftlich nachfragenden Theaters machen. „Aus aktuellem Anlaß“, so das Theater, spielt man statt des geplanten „Macbeth“ nun „Deutschland den Doofen“.

„Deutschland den Doofen“, Regie: Peter Staatsmann. Nächste Aufführungen: 16. u. 24.5., 6. u. 19.6., Landestheater Mecklenburg, Neustrelitz.

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