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Ferien im mondänen Dampfbad

Die Türken haben sie erbaut, Touristen und Einheimische nutzen sie noch heute zum Spaß und gegen Rheuma, Ischias oder Gicht. Eine Tour durch die Budapester Thermalbäder  ■ Von Joseph Somogyi

Oben entweicht durch die Löcher in der Halbkugel Dampf, als ob innen etwas kochen würde. Wir nähern uns ganz filmisch und durchdringen die Kupferkuppel. Innen ist die Dunkelheit mit noch mehr heißem Dampf gefüllt. Als sich unsere Augen an die spärliche Beleuchtung gewöhnen, entdecken wir ein Marmorbecken, gefüllt mit heißem Wasser und einigen Menschen mit Turbanen und großen Schnurrbärten, die ebenso tapfer wie rot in solch hohen Temperaturen verweilen.

– Was sind die neuesten Pläne des Mustafa? – fragt der eine den anderen auf alttürkisch.

– Krieg.

– Oh, Bruder, ist das nicht lebensgefährlich?

Wo sind wir? Wann? Warum? Wozu?

Kein Geheimnis. Wir sind Spione aus dem Hier und Jetzt, im Rudas Bad in Budapest, Ungarn. Die ältesten und heute noch in ihrer Originalform funktionierenden Bäder wurden von der „türkischen Besatzungsmacht“ erbaut. Sie sind an ihren mit goldenem Halbmond gezierten Kuppeln einfach zu erkennen.

Im Rudas, dem größten türkischen Bad in Budapest, gehört das achteckige Marmorbecken unter der Kuppel den Männern – das 330 Jahre später, 1896, erbaute große Hallenbad ist offen für beide Geschlechter.

Das Stoffwechsel- und Drüsenfunktionen anregende Wasser hat Heilkräfte. Während man von seinem Gelenkleiden (Arthrose), Arthritis, Bandscheibenschäden, Neuralgien, Katarrh der Atmungsorgane sowie bei Trinkkuren von seinen Magen- und Gallenerkrankungen befreit wird, kann man schön nachdenken, ob die Krankheit organisch oder psychosomatisch ist. Schon die beschauliche Entspannung in den verschiedenen Becken mit 28 bis 40 Grad Celsius warmem Wasser unter der türkischen Kuppel leistet Denkhilfe.

Király-Bad

Nicht alle der türkischen Bäder Budapests sind mit Hallenbädern kombiniert. Das Király-Bad zum Beispiel ist um das achteckige türkische Hauptbecken herum konzipiert, mit einigen Nebenbecken (Wassertemperatur 26 bis 40 Grad), mit Heißluft- und Dampfkammer sowie Massage- und Liegeraum. In dem 1837 erbauten klassizistischen Ergänzungsbau sind die Wannenheilbäder um einen Innenhof mit Bäumen untergebracht. Im Flur sieht man die archäologischen Funde, die unter dem Hof ausgegraben wurden; Reste einer Heeresstraße aus den Zeiten des Römischen Reiches sowie türkische Fundstücke.

Vielleicht aufgrund des Brauchs, nur leichte(ste) Lendenschurze zu tragen, verteilen sich die Geschlechter bei der Benutzung des Bades auf abwechselnde Tage. Um Enttäuschungen vorzubeugen, sollte man vor dem Besuch erst nach den „richtigen“ Tagen fragen.

Lukács-Bad

Es gibt auch architektonisch der europäischen Tradition entsprechend eingefaßte Heilquellwässer, wie das traditionsreiche Lukács- Heilbad. Das ganzjährig geöffnete Freibad, in den sozialistischen Zeiten Treffpunkt der intellektuellen Elite, Akademiker und Künstler, die gerne von wohlgeformten Wasserfeen umworben wurden, hat sein typisches Publikum heute einigermaßen verloren. In den beiden, ehemals getrennt für Frauen und Männer bestimmten Becken schwimmen die Geschlechter zwar gemischt, die Ordnung wird aber kaum durch Erotik unterbrochen.

Früher, in der Zeit nach der Fertigstellung des Bades 1893, als Ungarn noch Teil der österreichisch- ungarischen Monarchie war, blieben hier ganze Generationen dem Wasser und der Atmosphäre treu. Über Heilungserfolge berichten auch viele Marmorschilder in den verschiedensten Sprachen: Russisch, Rumänisch, Deutsch, Englisch, sogar Arabisch, und natürlich Ungarisch.

Da wird entweder Gott oder das Wasser lobgepriesen; einer von beiden oder sogar beide zusammen als Joint-venture haben den Leidenden von seinen langjährigen Qualen in Kürze befreit. So wurde dieses Bad um die Jahrhundertwende Hauptzielpunkt des Kurtourismus. Das labyrinthartige Thermalbad mit mehreren Becken (24 bis 40 Grad Celsius) ist mit dem Schwimmbad durch eine Tür verbunden, das Baden in beiden Einrichtungen (warmes Hallenbad, ganzjährig geöffnetes und kühles Freibad mit Sonnendach) ermöglicht. Das Schlammbad (30 Grad), von 44 wohltemperierten Quellen gespeist, ist Ort der stillen Meditation.

Einen anderen, pompöseren Flügel bildet im Garten das ehemalige Badehotel für Kurtouristen, wo heute das Staatliche Rheumatologische und Balneologische Institut (ORFI) untergebracht ist. Hier wird das Quellwasser mit Physiotherapie kombiniert, und für die Heilung von degenerativen Gelenkleiden (Arthrose), chronischer und halbakuter Arthritis, Deformationen des Rückgrates, Bandscheibenschäden, Neuralgien, orthopädischen und verletzungsbedingten Veränderungen, Katarrhen der Atmungsorgane sowie bei Trinkkuren für Magen-, Darm- und Gallenerkrankungen benutzt.

Das 0,6 bis 1,0 nC/l radioaktive Wasser, das aus verschiedenen Quellen aus 24 bis 100 Meter Tiefe kommt und 21 bis 48 Grad erreicht, beinhaltet, je nach Quelle, Kalzium-Magnesium-Hydrogenkarbonat, Alkali, Sulfat und Fluorid. Es wird neben dem Schwimm-, Thermal- und Schlammbad auch in Wannen- und Unterwassertraktionsbädern für die verschiedenen Krankheiten gezielt eingesetzt.

Gellért-Bad

Das Hotelbad Gellért liegt, wie alle vorher beschriebenen Heilquellenbäder, direkt neben der Donau. Wie die anderen Bäder auch, wurde der Gellért erst um eine warme Heilquelle herum (43 Grad) erbaut. Das Wellenfreibad wurde 1927 eröffnet, 1934 wurde der Wintergarten zu dem Hallen- Sprudelbad umgebaut.

Mit der Heilkraft schwärmten nicht nur die Kranken, sondern auch die Ärzte zur Quelle. So wurde ins Hotel eine stationäre Rheumaklinik integriert, wo heute die physio- und physikotherapeutischen Abteilungen ein recht umfangreiches Kurmittelangebot für Krankheiten wie degenerative Gelenkleiden (Arthrose), chronische und halbakute Arthritis, Wirbelsäulenerkrankungen, Neuralgien, Bandscheibenschäden, Arteriosklerose und Kreislaufstörungen bereithalten. Im Inhalatorium werden asthmatische Beschwerden und chronischer Bronchialkatarrh geheilt.

Das hört sich alles wie ein besseres Altersheim mit intensivem Kursangebot an. Warum sollte man aber auch nicht draußen im offenen, mit Wellenmaschine angetriebenen Schwimmbad (etwa 23 Grad), im kleinen Sitz- und Planschbecken (36 Grad), im Sprudel-Hallenbad (26 Grad), im halbkreisförmigen Sitzbecken (38 Grad) oder im für Frauen und Männer getrennten Thermalbad mit jeweils zwei Becken (36 und 38 Grad) sowie in allen anderen Einrichtungen (insgesamt 13 Becken) das Wasser oder die Sonne genießen? Nur weil man nicht krank ist?

Wenn man umherschaut, sieht man im Gellért ein Publikum, das viel mehr nach Fun als nach Physiotherapie aussieht. Von Kleinkindern, Teenagern und jungen Menschen bis zu den älteren Generationen findet man hier nicht nur viele Altersklassen, sondern auch viele Nationen.

Széchenyi

Das in eklektischem neobarockem Stil 1913, fünf Jahre vor dem Gellért, erbaute Széchenyi-Hallenbad war das erste Heilquellenbad auf der Pester Seite. Das Bad, dessen 74 Grad heißes Wasser aus einer 970 Meter tiefen Bohrung entspringt, lag im idyllischen Budapester Stadtwäldchen, damals noch außerhalb der Stadt, und war stets bestens besucht.

Inzwischen wuchs die Stadt um das ganze Stadtwäldchen mit hoher Bevölkerungsdichte herum. Da das Bad von der Donau, wo man damals noch im Flußwasser baden konnte, weit entfernt war und das Baden im Freien, das sogenannte „Standbaden“, inzwischen sehr populär wurde, überlegte man, ob man aus hygienischen Gründen das Bad ergänzt. So eröffnete 1927, im gleichen Jahr mit Gellérts Freibad, das Széchenyi- Bad, eines der größten Bäder in Europa.

Gleich die Eingangshalle zum Freibad mit Stuck, schweren Kronleuchtern und geschnitztem Edelholz vermittelt das Gefühl, es beginne bald ein Ball. Und wenn man aber entlang der nackten Frauen- und Männerskulpturen sowie wasserspuckender Delphine und der geschwungenen Brüstung schwimmt, hat man das Gefühl, zumindest die Partydekoration stimmt. Ein Restaurant, Saunas, mehrere Thermalbecken (insgesamt 15 Becken), Sonnendach, Fitness- und allerlei Körperpflegesalons wie Friseur, Mani- und Pediküre, Solarium, und ein Buffet stützen den schleichenden Verdacht, das Széchenyi sei nicht für die Langeweile da.

Das Publikum ist sehr gemischt. Zwar sind hier weniger Touristen anzutreffen als im Gellért, dafür veranstalten die Einheimischen unglaubliche Tratschparties im warmen Thermalbecken im Freien. Fraueneroberungen, Geschäfte, Intrigen und Regierungskritik werden bis ins kleinste Detail in den Dampf geflüstert. Schachpartien werden stundenlang am Beckenrand ausgetragen, von einer Traube Zuschauer verfolgt, die zwischen Gicht- udn Ischiasbehandlungen gute Ratschläge geben. In der physiotherapeutischen Tagesklinik können sich Schachmatte die Schulter weichklopfen lassen.

Wie gut ist es, im Freien vom Schwimmbecken (26 Grad) ins 12 Grad wärmere Thermalbecken zu wechseln! Alles entspannt sich; Muskeln, Gehirn, Sorgen um die unbezahlte Steuer. Wenn es regnet, schneit, zu warm oder zu gemütlich wird, wechselt man wieder ins kältere Schwimmbad oder galoppiert in das Gebäude. Dort warten schon die Saunas und drei Becken Thermalwasser (33, 35, 38 Grad). Wer mag, kann sich stundenlang garen lassen. Dann raus zum Schwimmbad! Und zurück! Nach so vielen Waschgängen wird man garantiert strahlend sauber und bleibt mit ein bißchen Glück vielleicht noch farbecht. Aber das ist unwahrscheinlich.

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