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Roboter im Penthouse

Auflösen, entschwinden: Die freischwebenden Raumkapseln des englischen Architektenkollektivs Archigram im Hamburger Kunstverein und – nach 1972 zum zweitenmal – in diesem Jahr auch auf der documenta  ■ Von Holger Liebs

Abgeräumt haben andere. Renzo Piano und Richard Rogers etwa, mit dem Centre Pompidou in Paris, einem knöchernen, von Metallschlingen und Röhren überwucherten Kulturpalast. Äußerlich gleicht er bis ins Detail Archigrams Entwurf der „Plug-in-City“ von 1964, einer Art globaler Providerstruktur für Containernetzwerke – die industriell vorgefertigte, eingestöpselte Stadt, mit Myriaden von Kleinstkapseln, die an mobile Tragwerke andocken. Das Ganze sollte über „Alt-Europa“ schweben. Archigram selbst konnten ihre utopischen Projekte der Instant-Städte und Superstrukturen nie an der Wirklichkeit erproben, sondern blieben der Sphäre malerisch-bunter Techno-Träume zwischen Mondlandung und Hovercraft verhaftet – „Townscape im Raumanzug“ hat das der Urbanist Colin Rowe genannt.

Die englische Architekten- Gruppe bestand von 1961 bis 1974 und existierte vor allem in Form von Zeitschriften: Archigram 1-9. Das heißt in Form von Collagen, Comics und Lyrics, die Britpop alle Ehre machen („Love gone. Lost. The poetry in bricks is lost ...“). Und schließlich in Form der sechs Gruppenmitglieder: Sprachrohr Peter Cook, Vaterfigur Warren Chalk, Manager Ron Herron, Technohead Dennis Crompton, Künstler David Greene und Freak Mike „Spider“ Webb.

Revolutioniert und perfektioniert haben Archigram vor allem die Präsentation architektonischer Entwürfe. Aus spröden Grundrissen wurde Pop-art. Lachende Menschen, aus Modezeitschriften zusammencollagiert, bevölkern urbane Settings. Peter Cook erfand ein völlig neues Entwurfsgenre: nächtliche Architekturszenarios. Die Welt ist ein Theme-Park, je nach Laune auch eine Disco. Nicht umsonst haben Archigram 1970 den Architekturwettbewerb für das Sommer-Casino in Monte Carlo für sich entscheiden können. Show-Arenas, flexible Architekturen – „Rock'n'Roll-Hardware“ –, das konnten sie.

Das kreisrunde und in den Boden eingelassene Mehrzweck-Casino mit Achtzig-Meter-Kuppel wurde nicht gebaut. Aber die Erdenschwere seines Programms hat die luftigen Visionen Archigrams doch schon deutlich mit den Anforderungen der Wirklichkeit infiziert. Was von Archigrams Ideen gebaut wurde, waren oft Schrumpfversionen und bloße Oberflächenkopien, Shopping- Malls und firmeneigene Chill-Out- Zonen. Dahinter blieb ein alter, nie verwirklichter Utopistentraum zurück: das Unbaubare ohne Reibungsverluste herstellen.

Träume von einer Welt ohne Architektur

Im 18. Jahrhundert rief Etienne- Louis Boullées Riesen-Kenotaph für Newton wonnige Schauer hervor. Selbst Archigrams Science-fiction fußt noch auf den aufklärerischen Avantgardeideen der Weltausstellungsmacher und heroischen Wissenschaftler-Architekten wie Buckminster Fuller. Zeitgleich entwarfen Kenzo Tange oder Arato Izosaki Weltraumstädte, Plankollektive wie Superstudio oder Team X träumten von Megastrukturen, Mikroklimata und einer Welt ohne Architektur. Ein Eskapismus, der heute noch vereinzelt, esoterisch verbrämt, auf Mittelmeerinseln zu finden ist.

Dennoch tragen Archigram- Projekte wie die aufblasbare Stadt „Blow-Out-Village“ oder das futuristische Robot-Penthouse „Living 1990“ schon deutlich Züge einer drohenden Apokalypse. Rasend schnell veränderte Anforderungen an urbane Architektur führten zu einem poppig überhöhten Horrorszenario des allgemeinen Nomadismus. Diesseits der Utopie sind davon der Verlust an urbaner Kultur, aggressive Globalisierung und wachsende Obdachlosigkeit übriggeblieben. Daneben die Angstträume Orwellschen Zuschnitts: Überwachungskameras, Sicherheitszonen und Chipkarten. Archigrams swingende Skylabs als Knotenpunkte weltweiter Vernetzung sind schneller veraltet, als sie erdacht wurden.

„Ich komme mir vor wie ein alter englischer Vikar, der auf dem Rasen sitzt und murmelt, während auf der Veranda der Fernseher läuft“, erzählt Peter Cook bei der Archigram-Präsentation im Hamburger Kunstverein. „Wir hatten damals zwei Ikonen: Le Corbusiers Wohnmaschine der ,Unité d'Habitation‘ und Hans Holleins Collage eines Flugzeugträgers auf dem Acker. Heute würde ich eher Japan als Ideal nennen. Diese paranoide, intensive Collage aus Screens, lächerlichen Spielen und Gebäuden, die so überwuchert sind, daß man nicht mehr sieht, wo sie anfangen oder aufhören.“

Die Hamburger Ausstellung stellt die vorzeitige Ouvertüre des dortigen „Architektursommers“ dar, mit einer Vielzahl an Ausstellungen, Projekten und Vorträgen. Das Ausstellungsmaterial wurde zu großen Teilen 1994 schon einmal in Wien und Paris gezeigt. Originalcollagen, wandfüllend übereinandergehängt, wechseln sich ab mit neuen, den alten Entwürfen nachempfundenen 3-D-Modellen und zellenartigen Installationsräumen. Nicht zufällig findet sich dort auch – als Ready-Made – eine Collage des Situationisten Guy Debords mit dem Motiv eines in Fraktale aufgelösten Paris wieder: Debords war mit seinem Begriff von der „Gesellschaft des Spektakels“ einer der konzeptuellen Vorläufer Archigrams.

Manche Installationen wirken etwas bemüht, etwa das Ambiente um einen eigens gefällten Baum. Auf grünendem Geäst steht „Manzak, die elektrische Tomate“ – das Modell einer freundlichen, kugelrunden Prothese für Einkäufe im Supermarkt oder andere wichtige Dinge. In der „Black Box“ schließlich sind die späten 60er Jahre vollends wiederauferstanden. Krautrock und Pink Floyd ertönen im schwarz verhängten Raum, eine Dreifach-Videoprojektion zeigt im Schnelldurchlauf die Geschichte des Architektenkollektivs, und zusätzlich werden Bilder auf Gazevorhänge geworfen. Fernseher flimmern.

Die Simulation eines LSD-Rausches mit multimedialen Mitteln? Wahrnehmen lassen sich innerhalb der „Black Box“ nur Fetzen. Angst vor musealen Weihen, vor den Geschichtsbüchern vermutlich. Aber Container-Ästhetik und eine gewisse Futurismus-Nostalgie sind gerade sehr in Mode: Archigram werden nach 1972 in diesem Jahr zum zweitenmal auf der documenta vertreten sein.

Auch Andrea Zittel wurde nach Kassel eingeladen. Die Künstlerin entwirft „Living-Units“ auf Rädern und Prototypen für das Wohnen und Arbeiten der Zukunft, die nach einer Art Nobelversion des IKEA-Designs aussehen. Und die architektonisch gestalteten Erlebniszonen Carsten Höllers, der ebenfalls an der dX teilnimmt, lehnen sich direkt an die Raumschiff- Entwürfe Archigrams oder der österreichischen Architektengruppe Haus-Rucker-Co an.

Zugegebenermaßen eine parasitäre Kunst

Peter Cook sieht in diesen Arbeiten wenig Verwandtschaften zu Archigram: „Mir fehlt die Ironie. Das ist mir alles zu perfekt. Archigram war immer von einem Drang zum Unperfekten, Wuchernden, Dynamischen getrieben. Architektur gibt wenigstens zu, daß sie von den Ideen anderer profitiert. Architektur ist per se ein Parasit.“

Die „soziale Software“ Mensch haben Archigram ohnehin auf andere Weise erreichen wollen. „Control & Choice“ hieß ein Projekt von 1967 für die Biennale des Jeunesses. „Desolate Vorstadtstrukturen“ sollten in Eigenarbeit durch den Aufbau mobiler Environments – „aufrollbare Membrane“ – neu urbanisiert werden. Im Stil von künstlerischen Interventionspraktiken der jüngeren Zeit konterte Archigram mit einer aggressiven Plakataktion: „There's more you can do. Respond! You are in control. So bring the problem back to front!“

Bis 20.7., Kunstverein Hamburg

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