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Eine erneute Reproduktion von Mythen der RAF

■ Irmgard Möller, Überlebende von Stammheim, läßt kritische Fragen nicht zu

„Für mich ist das die schlimmste Variante von einen Schlußstrich ziehen: Das haben wir versucht, es hat nicht geklappt, also arrangieren wir uns mit dem, was ist. Das finde ich nicht nur deswegen falsch und schlimm, weil heute noch etliche Leute, die damals angefangen haben, im Knast sitzen. Auch wenn es keine Gefangenen mehr gäbe, wäre es wichtig, zu erfassen, wo wir heute stehen. Wie gehen wir damit um, daß wir nicht erreicht haben, was wir wollten? Was müssen wir heute tun, um nicht einfach mitzuschwimmen?“

Imgard Möller, die Frau, die 23 Jahre als RAF-Gefangene im Knast saß, will sich auch heute nicht mit dem System arrangieren. Für sie persönlich ist der bewaffnete Kampf zwar beendet, doch das ist im Prinzip eine vorübergehende Phase. Es gab Fehler, falsche Einschätzungen, völlige Fehlschläge. Das ändert für sie aber nichts daran, daß die Grundsatzentscheidung richtig war – gegen den Nachfolgestaat des Nazifaschismus zu kämpfen, sich mit den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt zu solidarisieren. Da prallt jede Frage an ihr ab, jegliche Kritik wird empört zurückgewiesen. Das gibt den Gesprächsprotokollen zwischen Irmgard Möller und dem Journalisten Oliver Tolmein etwas Gespenstisches.

Während zum Beispiel ihr Mitkämpfer Christian Klar, der nach wie vor in Bruchsal im Knast sitzt, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung davon spricht, daß die RAF Geschichte ist, weigert sich Irmgard Möller beharrlich, das zu akzeptieren. In gewisser Weise kämpft sie auch heute, gut zwei Jahre nach ihrer Entlassung, immer noch um ihr Leben.

Die Kritik der legalen Linken an der RAF, auf einem großen Kongreß 1972 in Frankfurt unter anderem von Oskar Negt formuliert, ist für sie bis heute Verrat, der Aufruf zur Denunziation, dem dann auch prompt die Verhaftung Ulrike Meinhofs folgte. Merkwürdigerweise bleibt sie bei der Beschreibung für ihre persönliche Entscheidung, sich der RAF anzuschließen, in den Untergrund zu gehen, sehr vage. Fast hat man den Eindruck, sie wäre in etwas hineingerutscht – die Diskussion sei „sehr emotional“ gewesen.

Tolmein, der sich schon lange journalistisch mit der RAF befaßt, zeigt zum einen viel Verständnis für sie, versucht aber doch an verschiedenen Punkten einen Teil der Diskussion nachzuholen, den die RAF mit der legalen Linken nicht mehr geführt hat: was sie mit verschiedenen Anschlägen und Attentaten eigentlich bezweckt haben, wie sie auf den Aufruf Heinrich Bölls an die Bundesregierung und die RAF, aufzuhören und dafür freies Geleit zu bekommen, reagiert haben, warum sie den Mord an dem US-Soldaten Pimental nicht öffentlich kritisiert haben und warum sie nicht viel früher als im April 1992 die Einstellung des bewaffneten Kampfes erklärt haben, da doch viel früher klar war, daß das Konzept der RAF längst gescheitert war. – Die Antworten von Irmgard Möller sind schlicht unbefriedigend. Nicht weil sie an ihren Überzeugungen festhält, sondern weil die Begründungen für ihre Aktionen mit dem heutigen zeitlichen Abstand noch dürftiger wirken, als sie es schon damals waren. Kein Satz zu der Frage, was die Attentate der RAF dem vietnamesischen und kambodschanischen Befreiungskampf genutzt haben, kein Wort dazu, was die RAF nach Ende des Vietnamkrieges eigentlich wirklich durchsetzen wollte, kein Wort auch zu dem, was dann in Kambodscha passiert ist und die Diskussionen um linke Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in Mittelamerika heftig beeinflußt hat. Daß es schon 1977 eher darum ging, RAF-Gefangene, unter anderem sie selbst, aus dem Knast freizupressen, als die Bundesrepublik zu revolutionieren, kann sich Irmgard Möller nicht eingestehen.

Statt dessen hält sie unverdrossen die Mythen der RAF weiter am Leben. Für sie ist sowohl Ulrike Meinhof im Knast ermordet worden wie auch Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, die mit ihr zusammen in Stammheim saßen. Sie selbst überlebte diesen vermeintlichen Mordanschlag mit vier Messerstichen in der Brust. Doch die einzige Zeugin dieser aus ihrer Sicht staatlichen Hinrichtung des RAF-Führungskaders, als in Mogadischu die entführte Urlaubermaschine Landshut durch die GSG9 gestürmt wurde und damit die letzte Hoffnung auf eine Befreiung aus dem Knast dahin war, diese einzige Zeugin hat nichts mitbekommen. Sie ist eingeschlafen und wachte schwer verletzt im Krankenhaus wieder auf. Punkt, das war's. Zweifel an dieser Version sind nicht erlaubt, Leute, auch ehemalige RAFler, die etwas anderes erzählen, lügen eben.

Das Buch von Oliver Tolmein ist nicht unbedingt ein Beitrag zur Aufarbeitung des „bewaffneten Kampfes“ in Deutschland, es zieht keine politische Bilanz, aber es verschafft einen detaillierten Einblick in das Denken der RAF, und es zeigt eine Frau, die im Deutschland von 1997 noch lange nicht angekommen ist. Jürgen Gottschlich

Oliver Tolmein: „RAF, das war für uns Befreiung – Ein Gespräch mit Irmgard Möller über bewaffneten Kampf, Knast und die Linke“.

Konkret Literatur Verlag, 1997, 270 Seiten, 32 DM

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