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Der mysteriöse Tod des Knackis Udo J.

■ Kripo: Keine Kontrolle des selbstmordgefährdeten Knackis / „Kratzer“waren tiefe Schnitte

Der Selbstmord des 28jährigen Häftlings, der sich im Februar in der Beruhigungszelle der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen erhängt hat (taz 5.3), hätte verhindert werden können. Das ergibt sich aus dem Todesermittlungsbericht der Kripo, der der taz vorliegt. Wie berichtet, hatte sich der Mann mit den Streifen seines Schlafanzuges an der Zellentür erhängt. Die Essensklappe, die laut Dienstvorschrift verschlossen sein muß, war entriegelt – das machte den Suizid erst möglich, so das Fazit der Kripobeamten. Die stündlichen Kontrollgänge, die in solchen Fällen vorgesehen sind, fielen aus.

Laut Kripobericht wurde der Häftling um 15 Uhr in die Beruhigungszelle gesperrt. Der zuständige Beamte sah ein einziges Mal, zwischen 15.20 und 16.45 Uhr nach dem Gefangenen. Danach blieb der Knacki, der an diesem Tag schon einmal versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, unbeobachtet. Als der Beamte um 19.45 Uhr ein zweites Mal nach dem Häftling sehen wollte, war der Mann tot.

Etwa fünf Stunden vorher hatte der drogenabhängige Gefangene versucht, sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern aufzuschneiden. Anstatt den Anstaltspsychologen oder den sozialpsychiatrischen Dienst einzuschalten, steckten die Beamten den Mann in die festerlose Zelle im Keller des Knastes. Die Wunden seien nur „oberflächliche Kratzer“gewesen, erklärte Justizpressesprecherin Lisa Lutzebäck damals das Verhalten der Beamten, die den Selbstmordversuch nicht ernstgenommen hatten. Die Kripo schließt ein Fremdverschulden am Tod des Knackis aus.

„Der Tod von Udo J. ist schon sehr mysteriös“, sagt hingegen der Anwalt der Familie, Siegfried Kröger aus Vechta. Die Wunden, die Lutzebäck als „Kratzer“bezeichnet hatte, seien tiefe Schnitte, so der Anwalt. Das belegten Fotos, die die Familie gemacht habe. „Die Schnitte sind etwa 20 Zentimeter lang und ungefähr fünf Millimeter breit“, so Kröger. „Von Kratzern kann weiß Gott keine Rede sein. Das war ein klarer Hilferuf. Aber die Beamten haben ihn links liegenlassen, obwohl er Hilfe gebraucht hätte.“

Den Grund dafür glaubt der Anwalt zu kennen. „Er war ein unbequemer Häftling, der richtig Krach mit den Beamten hatte.“Kurz vor seinem Selbstmord soll Udo J. sich mit zwei Häftlingen gestritten haben. Außerdem wurde er – laut Ermittlungsbericht – von den Beamten dabei beobachtet, wie er ein kleines Päckchen, das an einem dünnen Faden hing, aus dem Fenster herunter gelassen hatte. Die Beamten hatten den Verdacht, daß Udo J. auf diese Weise Rauschgiftgeschäfte gemacht hatte.

Die mangelhafte Kontrolle des offensichtlich selbstmordgefährdeten Häftlings ist allerdings nicht der einzige Verstoß gegen die Dienstvorschriften, die die Kripo ausgemacht hat: Daß die Essensklappe entriegelt war, sei ebenfalls die Schuld von Beamten. Es sei unmöglich, den Riegel von innen zu öffen, heißt es in dem Kripo-Bericht. Daß der Häftling die Lucke vor seinem Selbstmord geöffnet haben könnte, hält die Kripo deshalb für ausgeschlossen. Für Anwalt Kröger steht daher zweifelsfrei fest: „Die Anstalt hat ihre Fürsorgepflicht eklatant verletzt.“

Gegen den zuständigen Beamten wird jetzt wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Das Justizressort gab gestern keine Stellungnahme ab. Behördensprecherin Lutzebäck mußte einräumen: „Wir haben den Bericht noch nicht.“

Kerstin Schneider

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