Referendum als Nebenkriegsschauplatz

■ An diesem Wochenende stimmen die SlowakInnen über den Nato-Beitritt und die Direktwahl des Präsidenten ab. Dabei geht es vor allem um die Position des Premiers

Bratislava (taz) – Die Kommunisten Böhmens und Mährens sind mit ihren kleinen Brüdern in der Slowakei wieder einmal überhaupt nicht einverstanden. Nicht nur, daß sich die Nachlaßverwalter der politischen Ideen von Alexander Dubček bald nach der Novemberrevolution von 1989 in Partei der demokratischen Linken (SDL) umbenannten und seitdem entschieden für die Marktwirtschaft eintreten. Nein, jetzt empfehlen sie ihren Wählern auch noch, bei dem Referendum über den Beitritt der Slowakei zur Nato an diesem Wochenende mit Ja zu stimmen.

Und dies nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. Pavol Kanis, Verfasser des programmatischen Parteidokuments zum westatlantischen Bündnis: „Die Nato- Mitgliedschaft bietet einen besonderen Schutz für Kapital.“ Neutralität könne sich nur ein stabiler westlicher Staat wie etwa die Schweiz leisten. Und weiter: „Die Sicherheit des eigenen Staates ist der höchste Wert. Die Gefahr für die Slowakei ist heute größer als in der Zeit des Kalten Krieges.“

Daß diese Gefahr vor allem von Rußland ausgeht, darüber sind sich nicht nur die Exkommunisten, sondern alle slowakischen Oppositionsparteien einig. Egal ob sie auf der rechten oder der linken Seite des politischen Spektrums stehen. Egal ob links oder rechts, das gilt auch für die Regierungskoalition. Nur wird hier in eine andere Richtung marschiert. Eine von Rußland garantierte Neutralität – so stellen sich ausgerechnet die Slowakische Nationalpartei (SNS), die stets die entschiedenste Vorkämpferin der slowakischen Unabhängigkeit war, sowie die relativ kleine Vereinigung der slowakischen Arbeiter (ZRS) die Zukunft vor. Ihre Begründung: „Für Neutralität sein, heißt für den Frieden sein.“

Alles andere als einig ist sich dagegen die größte Regierungspartei, die Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) unter Premier Vladimir Mečiar. Der Nato-Beitritt ist zwar Regierungsprogramm. Es war auch die HZDS, die das Referendum über den Beitritt initiierte und die jetzt ihren Wählern empfiehlt, für diesen zu stimmen. All dies hindert den Sprecher Mečiars nicht daran, vor Kameras bekanntzugeben, daß er sich gegen die Mitgliedschaft im Nordatlantischen Bündnis aussprechen werde.

Nicht akzeptieren will die HZDS und die ihr ergebene Presse zudem, daß die Slowakei angesichts der instabilen innenpolitischen Lage kaum noch eine Chance hat, zur ersten Gruppe der Nato-Neumitglieder zu gehören. Trotzig titelt die Tageszeitung Slovenska Republika: „Europa wird sich an die Slowakei als gleichberechtigten Partner gewöhnen müssen“. Und Mečiar hat sich seinen eigenen Reim auf die schwindenden Nato-Chancen des Landes gemacht. „Die USA und Rußland haben einen Geheimvertrag über den Ausschluß der Slowakei geschlossen“, läßt er verlauten.

Daß Rußlands Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin bei seinem jüngsten Besuch in Bratislava diese Behauptung entschieden dementierte, interessierte Mečiars Anhänger wenig.

Auch an den Fernsehsondersendungen der Parteien zum Referendum beteiligt sich die HZDS nicht. Dies hat noch einen ganz anderen Grund. Ein Grund, der von Anfang an die Debatte über die Volksabstimmung beherrschte und die Frage „Nato ja oder nein“ zu einer gänzlich nebensächlichen werden ließ. Denn an diesem Wochenende werden die SlowakInnen auch darüber entscheiden, ob der Staatspräsident weiter vom Parlament oder direkt vom Volk gewählt werden soll. Initiiert hat die Abstimmung Präsident Michal Kováč selbst. Unterstützt von der gesamten Opposition möchte er verhindern, daß das Land nach dem Ablauf seiner Amtszeit im nächsten Jahr ohne Staatsoberhaupt dasteht. Klar ist schon heute, daß sich Regierungs- und Koalitionsparteien weder auf Kováč noch auf einen anderen Kandidaten einigen werden.

Zwar stammt der Präsident aus der HZDS, doch schon kurz nach seiner Wahl 1994 wurde er zum schärfsten Kritiker Mečiars, er initiierte die – wenngleich nur kurzzeitige – Entmachtung des Premiers. Der auch im Ausland als Garant einer demokratischen Slowakei angesehene Kováč könnte eine Direktwahl wohl ohne größere Schwierigkeiten gewinnen – und genau aus diesem Grund will die HZDS eine solche verhindern. Allerdings will Kováč nicht noch einmal in den Ring steigen. Anfang der Woche kündigte der 66jährige an, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht noch einmal zu kandidieren.

Entgegen aller Gesetzesbestimmungen wies die Regierung den Innenminister an, die Stimmzettel für das Referendum nicht drucken zu lassen. Zuerst sollte das Verfassungsgericht entscheiden, ob es möglich sei, durch eine Volksabstimmung die Verfassung zu ändern. Daß ohne rechtzeitige Verteilung der Stimmzettel die Durchführung des gesamten Referendums in Gefahr geriet, wurde bewußt in Kauf genommen. Erst eine Woche vor der Abstimmung durften die Druckmaschinen anlaufen.

Tatsächlich kann Mečiar bei diesem Referendum nur verlieren: Das erwartete eindeutige Ja zur Nato wird angesichts der schwankenden Position der Regierung im In- und Ausland als Sieg der Opposition gefeiert werden. Auch die Frage nach der Direktwahl des Staatspräsidenten dürfte eine klare Mehrheit finden: Die Opposition ist geschlossen wie nie, und auch so mancher Mečiar-Anhänger wird sich für diese Form der Wahl begeistern können.

Hier greift die Rache der Geschichte: Vor einigen Jahren hatte Mečiar selbst mit dem Gedanken der direkten Präsidentenwahl gespielt. So bleibt dem Premierminister vorerst nur eins: Möglichst wenig Werbung für das Referendum machen. Je weniger SlowakInnen den Weg in die Wahllokale finden, um so kleiner der Sieg der Opposition. Auf die Frage aber, ob eine niedrige Wahlbeteiligung die Nato-Chancen der Slowakei weiter verschlechtert, gibt es aus der HZDS keine Antwort. Wie sagte doch ein führender Vertreter: „Eigentlich ist es dem einfachen Slowaken doch völlig egal, ob er in der Nato ist oder nicht.“ Sabine Herre