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Die Fäuste zweier Systeme

■ Der oscarprämierte Dokumentarfilm When we were Kings von Leon Gast verfolgt den Boxkampf zwischen Ali und Foreman

Der 30. Oktober 1974 ist ein besonderes Datum für mich. An diesem Tag kämpften George Foreman und Muhammad Ali den Kampf ihres Lebens in Kinshasa. Ich war fünf, und es war das erste Mal, daß mein Vater mich aus dem Bett holte, um mit ihm zusammen fernzusehen. Halb verschlafen saß ich nun vor der ent-tabuisierten Mattscheibe und verfolgte zwei große farbige Männer, die gegeneinander boxten. Ich hatte keine Ahnung, was sich da eigentlich abspielte – konnte aber spüren, daß da etwas besonderes vor sich ging, was mir Gänsehaut verursachte.

Ali war bereits zu diesem Zeitpunkt eine selbst- und fremdgestrickte Legende. Als Ex-Weltmeister, der zum Islam konvertiert war und seinen „Sklaven-Namen“Cassius Clay gegen Muhammad Ali getauscht hatte, war er zum Symbol eines neuen afro-amerikanischen Selbstbewußtseins avanciert, das sich eindeutig politisch definierte. „The Greatest“verweigerte den Kriegsdienst in Vietnam – „No Vietcong had called me nigger!“–, verlor seinen Weltmeistertitel und wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Kampf gegen den neuen Schwergewichts-Champion George Foreman wurde damit zu einem Kampf zweier Systeme. Das politische, selbstbewußte und faszinierende Symbol des Widerstandes gegen den klassischen „Onkel Tom“-Typus, den George Foreman in Alis Dramaturgie zu verkörpern hatte.

Was den „Rumble in the Jungle“zu einem der bedeutendsten Sportereignisse macht, ist jedoch erst die Kombination der zahlreichen Facetten in der Geschichte dieses Kampfes. All dies versucht When We Were Kings von Regisseur Leon Gast in sich zu vereinen: Die sechs Wochen Verzögerung in Zaire, in denen Ali zum Liebling und Hoffnungsträger der Massen wurde. Das begleitende Musikfestival, bei dem afrikanische Bands und US-Stars wie Miriam Makeba und James Brown zusammenkamen. Die politische Situation in Zaire unter dem Potentaten Mobutu. Und schließlich der Kampf selbst, in dem Ali den Weltmeister mit atemberauben-der Dramatik besiegte.

Leon Gast, der 1974 als Dokumentarfilmer zu Don Kings Team gehörte, hat über 20 Jahre in Schneideräumen und mit Gesprächen mit Zeitzeugen von Spike Lee bis Norman Mailer verbracht, um seinen Film fertigzustellen. Daraus entstand ein Dokument, dessen Kraft im Ereignis selbst liegt, in Muhammad Alis ungebrochen charismatischer Wirkung oder der Musik, die dem Film zu seinem Rhythmus verhilft. When We Were Kings nähert sich dem Mythos von Kins-hasa auf wunderbare Weise. Während er einerseits die Funktionsweise der Legende offenlegt, macht er den Zauber jener Oktobernacht spürbar. Jan Distelmeyer Abaton, Zeise

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