Szenario für den Ernstfall

■ Wie die deutschen Frauenquoten gerettet werden könnten, wenn der Gerichtshof sie erneut für rechtswidrig erklärt

Eine Berufung gegen Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ist nicht vorgesehen. Sollte dieser wirklich, wie zu befürchten steht, Frauenquoten aller Art für EU-rechtswidrig erklären, dann wäre nicht die Justiz, sondern die Politik gefordert. Schon nach dem aufsehenerregenden Richterspruch vor eineinhalb Jahren, bei dem die besonders rigide Bremer Frauenquote gekippt worden war („Kalanke“-Urteil), kam es zu ersten Initiativen, die bis heute aber ohne Ergebnis blieben.

Der für Frauenfragen zuständige EU-Sozialkommissar Padraig Flynn (Irland) wurde bereits einige Monate nach dem „Kalanke“-Urteil aktiv. Im März letzten Jahres schlug der irische EU-Kommissar vor, die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie zu ergänzen. Er will dadurch klarstellen, daß beim Einstellen und Befördern „Vorzugsregelungen“ für das „unterrepräsentierte Geschlecht“ möglich sind.

Dieser Kommissionsvorschlag ist allerdings immer noch nicht verabschiedet. Nur die skandinavischen Länder setzen sich für ihn ein. Die meisten anderen Staaten (inklusive Deutschland) wollen erst einmal abwarten, wie der EuGH im Fall des Nordrhein- Westfalen Marschall entscheidet. Wird die nordrhein-westfälische Frauenquote vom Gerichtshof akzeptiert, wäre die vorgeschlagene Klarstellung, so ihre Argumentation, überflüssig.

Ähnlich fraglich ist derzeit, ob Frauenrechte bei der kommenden Vertragsrevision (Maastricht II) berücksichtigt werden. Auch hier liegen Vorschläge auf dem Tisch, die klarstellen sollen, daß „spezifische Vergünstigungen“ für das „unterrepräsentierte Geschlecht“ möglich sind.

Eine große Hürde bliebe auf beiden Wegen noch zu überwinden. Denn sowohl für die Änderung der Richtlinie als auch für die Ergänzung des EU-Vertrags ist eine einstimmige Entscheidung der Mitgliedsstaaten erforderlich. Nun sollte man meinen, daß diese Einstimmigkeit hier nicht ganz so schwer wie sonst zu erreichen ist. Schließlich sollen Quoten nicht europaweit eingeführt, sondern nur dort von der EU toleriert werden, wo sie politisch erwünscht sind. Falls sich dennoch einzelne Staaten verweigern (bislang war Großbritannien größter Quoten- Feind), könnte auch das EU-Sozialprotokoll angewandt werden, das 1993 als Zusatz zum Maastricht-Vertrag beschlossen worden war. Bei dieser bisher noch wenig diskutierten Möglichkeit wären auch Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit erlaubt.

Man/frau sollte sich aber keinen Illusionen hingeben. Hat der EuGH die Quoten erst einmal beseitigt, ist eine angemessene Reaktion auf dem politischen Parkett höchst unsicher. CR