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Weniger Auto – mehr Lebensqualität

Waren aus dem Umland können sich Wohngemeinschaften und Alleinlebende direkt nach Hause liefern lassen. Der Berliner Hauslieferdienst StattKauf will mit diesem Service helfen, das individuelle Auto überflüssig zu machen  ■ Von Andreas Knie

Es sind die berühmten Kisten. Manchmal sind sie mit Bier, manchmal mit Sprudel gefüllt, aber in jedem Falle dienen sie als Argument dafür, warum man eben doch, obwohl man selbstverständlich gerne würde, nicht mit Bus und Bahn unterwegs ist, sondern weiterhin ein Automobil braucht. Ein jeder gibt sofort zu, das er nicht jeden Tag eine Kiste Bier kauft, vielleicht sogar nur einmal die Woche. Aber das Auto, das man just zu diesem Kistentransport benötigt und auch nur deshalb besitzt, steht jeden Tag und jede Nacht vor der Haustür.

Der private Transport von Produkten des täglichen Bedarfs stellt nicht zufällig eines der größten Probleme der Verkehrsforschung dar. Hier, auf dem Gebiet des sogenannten Wirtschaftsverkehrs, konstatiert Stefan Rommerskirchen, Verkehrsforscher der Prognos AG, „eine enorme Schieflage“. Die verkehrserzeugenden Effekte sind groß, das Wissen um Motive und Veränderungsmöglichkeiten dagegen nur sehr gering. Während man über den klassischen Personen- und Güterverkehr mittlerweile einiges weiß, ist der irgendwo dazwischen liegende kleinteilige Versorgungs- bzw. Einkaufsverkehr ein regelrechtes Stiefkind der Verkehrsforschung geblieben. Wie viele Güter des täglichen Bedarfs so jeden Tag durch Stadt und Land gefahren werden, ist bislang nicht erfaßt worden.

Während mittlerweile für die Produktion etlicher Güter, beispielsweise für Joghurtbecher, der Verkehrsaufwand genauestens vermessen ist, bleiben die verkehrsintensiven Strukturen der Vermarktung und des Vertriebs bislang weitgehend im dunkeln. Dies ist auch deshalb bedauerlich, weil damit Rückschlüsse auf unser Konsum- und Verkehrsverhalten möglich würden.

Allerdings schien es zwischenzeitlich, als ob die Praxis wieder einmal die Forschung überholt habe. Im Sommer 1995 kam den Betreibern von Berlins führendem Car-Sharing-Unternehmen, der StattAuto GmbH, eine, wie es schien, ziemlich geniale Idee. StattAuto verfügt über eine große Flotte an Automobilen (über 100 Fahrzeuge), die aber nur zu wenigen Spitzenzeiten (Wochenenden und Urlaubszeit) so richtig ausgelastet ist. Dieser Fahrzeugpark könnte also zwischenzeitlich für gute Taten eingesetzt werden. Da Sinn und Zweck von StattAuto ja vor allen Dingen darin besteht, eine Alternative zum Privatbesitz eines Automobils zu bieten, schien der Gedanke nicht abwegig: StattAuto ergänzt sein Angebot um StattKauf, einem Hauslieferservice. Waren des täglichen Bedarfs, selbstverständlich aus der Region, werden auf Bestellung im Berliner Innenstadtbereich verkehrsoptimiert direkt ins Haus geliefert. Damit können gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Der Zwang zum Automobilbesitz entfällt völlig, denn die Kiste Bier kommt jetzt per Lieferservice. Viele individuelle Fahrten kombiniert der Dienstleister StattKauf zu einer logistisch ausgeklügelten, umweltentlastenden Transportkette. Mit dem Berliner Naturkostladen Querfood wurde auch schnell der passende Lieferant mit regionalem Warensortiment gefunden.

StattKauf startete im Herbst 1995 mit viel Brimborium, unterstützt nicht zuletzt auch von der taz und der Berliner Senatsumweltverwaltung. Letztere spendierte sogar eine wissenschaftliche Begleitforschung, deren Ergebnisse nun vorliegen. Die vom Institut für Straßen- und Schienenverkehr der TU Berlin erstellte Studie bringt nun erstmals ein bißchen Licht in die Black-box des privaten Wirtschaftsverkehrs.

Eine der eher bitteren Erkenntnisse in der bisherigen Karriere von StattKauf ist, daß ein werbewirksamer Start allein noch nicht für einen Erfolg ausreicht, sondern einzig und allein der lange Atem zählt. Von den ursprünglich einmal 200 StattKauf-Teilnehmern sind noch etwa 100 Abnehmer übriggeblieben. Eine doch eher bescheidene Zahl, wenn man bedenkt, daß bei StattAuto über 3.500 Mitglieder eingeschrieben sind. Alles was sich abseits eingeschliffener Gewohnheiten abspielt, wie beispielsweise die Teilnahme an einem Hauslieferdienst, geht eben nicht von heute auf morgen. Zwischen der Information über einen neuen Service und der tatsächlichen Teilnahme rechnet man in der Verkehrsforschung mit drei bis fünf Jahren. Damit wird natürlich auch einer der Kerngedanken von StattKauf noch nicht realisiert. Wenig Kunden machen wenig Umsatz und lassen keine energie- und verkehrseffiziente Belieferung zu. Mit durchschnittlich sechs Haushalten, die pro Tour beliefert werden, ist da wenig zu machen. Die angestrebten Umwelt-Entlastungseffekte – so heißt es in der von Otto Berthold und Tobias Ring verfaßten Forschungsarbeit – treten gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang auf. Zusätzliches Problem: Die aufs ganze Stadtgebiet verteilten Abnehmer lassen auch keine kostendeckende Belieferung zu. Die Folge ist klar. Kein Geld in der Kasse, um anständige Löhne zu bezahlen und eine sinnvolle Werbung aufzuziehen. Wer nicht täglich taz liest, kennt StattKauf nicht. Weiteres Problem: Im Warenkorb entdeckten die Berliner Forscher auch Käse aus Holland sowie Äpfel aus Südtirol. Vertrieb und Konsum dieser Produkte sind sicherlich weder zur Stärkung der regionalen Erzeugerkraft noch zur Senkung der Verkehrsleistung geeignet.

Zudem war der Kooperationspartner Querfood zu Beginn des Projekts mit dem Aufbau der entsprechenden Infrastruktur schlichtweg überfordert. Angebot und Service entsprachen in den ersten beiden Jahren nicht den Kundenbedürfnissen.

Die Begleitforschung hat sich aber auch das Verkehrsverhalten der Kunden während der Teilnahme an StattKauf vorgenommen. Die Kunden selbst stammen aus dem linksliberalen Milieu und sind stark an Umweltschutzthemen interessiert. Würden nur StattKauf-Teilnehmer wählen gehen, könnten Bündnis 90/Die Grünen mit einer satten Mehrheit von fast 80 Prozent regieren. Von 116 befragten Teilnehmern verfügte knapp ein Drittel ständig über einen Pkw. Nach der Teilnahme an StattKauf gab mehr als ein Drittel dieser Pkw-Besitzer wiederum an, das Auto deutlich weniger zu benutzen. Immerhin 13 Prozent der Pkw-Nutzer hat nach eigenen Angaben während der Teilnahme an StattKauf das Auto gänzlich abgeschafft. Damit aber nicht genug. Insgesamt hat sich die Länge der Versorgungswege bei allen Teilnehmern um durchschnittlich 21 Prozent verkürzt. Diese Veränderungen im Verkehrsverhalten sind um so erstaunlicher, als sie ohne moralischen Druck zustande gekommen sind. Interessanterweise gaben nämlich die StattKauf-Kunden als Motiv für die Teilnahme in erster Linie Komfort bzw. Bequemlichkeit (83 Prozent) sowie Zeitersparnis (67 Prozent) an. Erst an dritter Stellt folgte die Sorge um die Umwelt (50 Prozent).

Die Studie belegt damit, daß ein Grundgedanke von StattKauf völlig richtig war. Das Angebot eines Hauslieferdienstes kann den individuellen Verkehrsaufwand verringern und den Nutzungsgrad des Automobils zurückdrängen und das sogar noch mit einem Plus an Komfort. Bei einem Anwachsen der Teilnehmerzahlen und mit einem entsprechend ausgeklügelten Logistikprogramm könnten zusätzliche Gesamtentlastungen im Emissionsbereich gegenüber herkömmlichen Konsumgewohnheiten erreicht werden. Die Potentiale von StattKauf, so das Resümee der TU-Studie, sind daher längst nicht ausgeschöpft. Eines aber steht jetzt schon fest: Die Kiste Wasser oder Bier hat als Alibi der Autonutzung endgültig ausgedient.

Infos zu StattKauf unter: http:// www.iq-consult.com/querfood

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