: Verwirrung um Flüchtlingszahlen
■ Die Vorwürfe an die AFDL im Kongo, Zehntausende ruandische Hutu umgebracht zu haben, sind nicht stichhaltig
Berlin (taz) – Eine Erfolgsmeldung aus dem Drama der ruandischen Hutu-Flüchtlinge in Kongo/ Ex-Zaire: Das Lager Biaro südlich von Kisangani ist leer. Die letzten 1.385 der 34.918 Insassen wurden am Dienstag von der UNO nach Ruanda zurückgeflogen. Nun steht die Repatriierung der 50.000 weiteren Flüchtlinge an, die bis zum April im zweiten großen Lager Kasese lebten. Die Hälfte von ihnen ist bereits aus dem Regenwald wieder in das Lager zurückgekehrt; täglich tauchen neue Gruppen bei Sammelstellen auf.
Die Lager Biaro und Kasese hatten im April Schlagzeilen gemacht, als die Truppen der inzwischen siegreichen AFDL-Rebellen von Laurent Kabila sie gewaltsam auflösten und dabei übereinstimmenden Zeugenaussagen zufolge auch Massaker begingen. Das Leiden der in den Wald gedrängten Flüchtlinge, viele davon schwer krank, hatte die Welt aufgerüttelt und das Image der AFDL dauerhaft geschädigt. Nicht wenige Beobachter waren sicher, die Tutsi-Soldaten der AFDL hätten die ruandischen Hutu zu Zehntausenden umgebracht.
Nun tauchen immer mehr dieser Flüchtlinge lebend auf. Dennoch bleiben die Vorwürfe bestehen. So sagte jetzt die französische Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF), von angeblich 340.000 Flüchtlingen im Kongo seien 190.000 verschwunden – Teil einer „brutalen Strategie der Vernichtung“.
Das Problem damit ist, daß die Zahlen nicht stimmen. MSF bezieht sich darauf, daß das UN- Flüchtlingshilfswerk UNHCR am 13. Mai verkündete, es gebe in Kongo/Ex-Zaire genau 294.463 ruandische Flüchtlinge und 44.000 Burunder. Eine empirische Grundlage dafür fehlt, zumal das UNHCR nach eigenen Angaben wie alle Hilfsorganisationen zu wichtigen Fluchtgebieten in Süd- Kivu nur „sehr beschränkten Zugang“ hat. Dort kämpfen Hutu- Gruppen gegen die AFDL.
Außerdem sehen die detaillierten Zahlen ganz anders aus. 1,1 Millionen ruandische Flüchtlinge lebten laut UNHCR bis Herbst 1996 in Zaire. Bis Ende 1996 gingen davon 600.000 nach Ruanda zurück, bis Ende April 1997 weitere 230.000. Es blieben 100.000 um Kisangani und 170.000 weitere, von denen nach verschiedenen UN-Berichten bis zu 65.000 nach Westen gezogen sind, wo immer mehr die Grenze nach Kongo- Brazzaville überschreiten; etwa 30.000 sind nach Angola unterwegs, etwa 3.000 in die Zentralafrikanische Republik. Etwa 70.000 leben noch in östlichen Landesteilen, wo ethnische Konflikte toben.
Von einem massenhaften Verschwinden von Ruandern kann also keine Rede sein. Verschwiegen wird dabei auch, daß manche dieser Flüchtlinge Waffenträger sind. Selbst die ruandischen Soldaten in den Rängen von Mobutus Armee gelten der UNO als Flüchtlinge. In die Zentralafrikanische Republik brachten mehrere hundert Hutu-Flüchtlinge blitzblanke neue Gewehre mit. Die Behörden von Kongo-Brazzaville mußten 2.600 Ruander entwaffnen, und auch viele der inzwischen 12.000 Ruander in Angola sind laut UNHCR ehemalige Soldaten.
In Ost-Kongo/Ex-Zaire und Ruanda selber mehren sich derweil die Attacken rückkehrender Hutu-Milizen auf Zivilisten. Die Massenrepatriierung der Flüchtlinge führt in Ruanda ohnehin zu Problemen: Die Lebensmittelpreise, bereits im März um 30 Prozent höher als ein halbes Jahr davor, stiegen im April noch mal um 50 Prozent. Die Behörden machen dafür niedrige Ernten aufgrund der wachsenden Unsicherheit verantwortlich. Dominic Johnson
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