■ Standbild: Herzallerliebst!
„Uefa-Pokal, live“, Mittwoch, 20.15 Uhr, Sat.1
Live-Übertragungen, wie die des Uefa-Pokal-Finales aus Mailand, machen das TV-Gerät zum Grundnahrungsmittel: Alles fiebert mit. Sportchef Reinhold Beckmann gab im vollen Bewußtsein des Wallungswertes der Partie auch gleich die passende Losung aus: „Es ist alles ganz anders als in einem ganz normalen Bundesligaspiel.“
Schade eigentlich, daß diese Message nicht bis zu Werner Hansch durchgedrungen ist. Der kübelte gleich eimerweise den für „ran“ ganz normalen kommentatorischen Einheitsbrei über das Spiel. Noch vor dem Anpfiff versuchte der Ruhrpott- Poet (gähn!) in altbekannter Manier eine zweite Suspense-Linie ins Spiel zu ziehen. „Er spielte ja schon seit sieben Monaten mit Schienbeinbeschwerden, es soll ein Ermüdungsbruch sein“, wurde Inters Ciriaco Sforza begrüßt. Das versprach Abwechslung in langweiligen Spielminuten: Aha, bei dem Ex-Bayern könnte also etwas brechen oder reißen – wie geil!
Der proklamierten Andersartigkeit des Spiels versuchte man später verschärft durch die Konferenzschaltung zwischen den 28.000 Schalker Fans im Parkstadion und ihren siegreichen Helden gerecht zu werden. Leider verstehen Dahlmann, Beckmann & Co. nichts von stiller Euphorie – bei Sat.1 haben Emotionen zu krachen.
Weil nicht alle Spieler mit derwischartigem Jubel à la Youri Mulder aufwarten können, wurden gestern abend die Spielerfrauen gefühlsverstärkend ins Bild gerückt. Vor 13,6 Millionen Sat.1-Guckern stotterten sie „herzallerliebst“ (Beckmann) Glückwünsche unter beschlagenenen Brillengläsern hervor und trabten über den Rasen, auf dem sie – bis auf ihre Männer – nichts verloren hatten. Lag nicht im manisch-autistischen Gekritzel, in das sich Huub Stevens während des Elfmeterschießens zu flüchten versuchte, genug Gefühl für die Fernsehnation?
NRW-Ministerpräsident Johannes Rau jedenfalls scheint von effektiver medialer Präsentation mehr zu verstehen als die komplette „ran“-Redaktion. Der Ministerpräsident hat aus den peinlichen EM-Auftritten des Kanzlers die richtigen Schlüsse gezogen. Hätte er live im Studio gratuliert, seine gesetzte, landesväterliche Attitüde hätte deplaziert gewirkt.
Das verlesene Glückwunschtelegramm hingegen verfehlte seine Wirkung nicht. Weniger ist mehr. Claudia Thomsen
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