: Ein Parlamentspräsident der Peinlichkeiten
■ Herwig Haase (CDU), der Chef des Berliner Abgeordnetenhauses, bringt alle in Rage. Die Oppositionsparteien und die SPD legen ihm jetzt den Rücktritt nahe
Irmgard Schmidt hat keine Lust mehr auf Parlamentarismus. Die ältere Dame findet die Sitzungen des Berliner Abgeordnetenhaues zwar „hochinteressant“. Sie hat in den letzten Jahren so gut wie keine verpaßt. Dennoch mag Frau Schmidt nicht mehr kommen. Ihr, der offiziell als treuesten Parlamentsbesucherin Gewürdigten, haben die Saalwächter zwei Äpfel abgenommen – sie könnte ja damit die Abgeordneten bewerfen. Irmgard Schmidt hat dem Präsidenten des Parlaments, Herwig Haase (CDU), deswegen brieflich die Treue aufgekündigt. Von Haase kommt die Order, Besucher zu filzen, wie es nur an der einstigen Zonengrenze üblich war.
Wahrscheinlich hat auch Herwig Haase keine Lust mehr auf Parlamentarismus. Seit seinem Amtsantritt Anfang 1996 wird hinter vorgehaltener Hand immer wieder der Rücktritt des 52jährigen Professors für Osteuropakunde gefordert. Nach den jüngsten Fehlern aber geht das Parlament offen auf Distanz zu seinem Präsidenten. Grüne und PDS fordern seinen Rücktritt. Die SPD hält ihn für „nicht geeignet“.
Alle Rücktrittsforderungen aber sind wegen der Verfassungslage und Haases Naturell pure Donquichotterie. Seinen Präsidenten kann das Abgeordnetenhaus gar nicht abwählen. „Man wird ihn nicht los“, erklärte die bündnisgrüne Fraktionssprecherin Sybill Klotz resignierend, „außer er tritt freiwillig zurück.“ Daran aber ist bei Haase nicht zu denken. Schon als Verkehrssenator verfuhr er nach dem Motto „Mein Name ist Hase“. Wegen erwiesener Unfähigkeit wurde der im Privaten ausgesprochen freundliche und witzige Mann weggelobt.
Der Parlamentspräsident hat sein Amt zur Lachnummer verkommen lassen. Haase ist der Präsident der Peinlichkeiten: Er vergab ausgerechnet die Übertragungsrechte eines Tages der offenen Tür exklusiv an einen CDU- nahen Radiosender. Vor zwei Wochen sagte Haase nur auf öffentlichen Druck hin einen Empfang für den italienischen Postfaschisten Fini ab. Am schwersten wog freilich, daß der Vorsitzende des höchsten Verfassungsorgans am Tag des Holocaust Opfer und Täter vermengte. Nur dieses eine Mal entschuldigte sich Haase für seine „mißverstandene Rede“, in der er de facto zum Gedenken für SSler und Nazi-Schergen aufrief.
Angesichts dieser „Kette von Fehlleistungen“ (PDS) muten Haases jüngste Aktionen wie Petitessen an. Aber selbst eine illegale Baumfällaktion des Privatmannes Haase auf seinem Grundstück beschäftigte vergangene Woche das Parlament. Und jetzt hat der Parlamentsvorsteher seinen jungen Büroleiter befördert – gegen das ausdrückliche Veto seines Präsidiums. Selbst die CDU geht nun auf Distanz. Haases Parlamentsvize Reinhard Führer hat die Beförderungsaffäre trocken „Mauscheleien“ genannt.
Aber Haase hat nicht nur sein Amt ruiniert. Er hat das Abgeordnetenhaus in einen Zustand von Streit und Verwirrung manövriert. Das „offene Haus“ seiner Vorgängerin Hanna-Renate Laurien verwandelte der stramm konservative Parlamentsvorsteher in einen Hochsicherheitstrakt. Unbehelligt kommt nur der Polizeinachwuchs in Hundertschaftsstärke auf die Parlamentstribüne. Normale Besucher müssen sich von Haases Ordnungsdienst regelmäßig anpöbeln lassen, wenn sie nicht zusätzlich zu ihrer Besucherkarte den Personalausweis mitführen.
Selbst wenn Haase wider Erwarten nach der Rücktrittssitzung kommende Woche seinen Hut nehmen sollte – er hat aus dem Hohen ein total verrücktes Haus gemacht. Christian Füller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen