: Blindlinks in den Untergang
■ Der Geschäftsführer schmollt, und die Redaktion besetzt die „junge Welt“
Irgendwann liegen halt die Nerven blank. Bei Dietmar Koschmieder war das kurz vor eins. Als ihm der Zutritt zur Redaktion mit den Worten „Du bist hier nicht mehr erwünscht“ verwehrt wurde, klatschte er rhythmisch in die Hände und pochte lautstark auf sein Hausrecht: „Ich bin der Geschäftsführer.“
Es scheint, als habe sich Eigentümer Koschmieder, der die schon abgeschriebene junge Welt vor zwei Jahren konsolidierte, zum erstenmal so richtig verrechnet. Mit seiner Personalpolitik nach Gutsherrenart hat er den Erlöser-Nimbus bei der Redaktion verspielt: Noch am Mittwoch hatte er die Chefredaktion entlassen, gestern wurde Koschmieder selbst vor die Tür gesetzt – nachdem er zuvor in der Redaktionskonferenz angedroht hatte, wer nicht mit ihm arbeite, werde entlassen.
Nun hat der überwiegende Teil der Redaktion die Räume besetzt und produziert weitere Notausgaben: Die jungle World, die aus Titelschutzgründen so heißt, erscheint nach ihrem gestrigen Gastspiel als Beilage in einer Teilauflage der taz heute und am Wochenende im Neuen Deutschland. Und während wütende Autoren Artikel über die Legende vom selbstverwalteten Blatt und den Amoklauf des Geschäftsführers in die Tasten hauen, hat sich der Verhaßte zwei Stockwerke tiefer einquartiert, um einen regulären Zeitungsbetrieb aufrechtzuerhalten: Bereits gestern hatte Koschmieder den Abonnenten in einer Sonderausgabe erklärt, daß die Entlassung der Chefredaktion notwendig gewesen sei, weil die junge Welt sonst zum „Szene-Blatt“ verkommen wäre – ohne Rücksicht auf „ostdeutsche Ereignisse“.
Heute nun sollten weitere Stellungnahmen folgen – ein einigermaßen schwieriges Unterfangen. Zwar weiß Koschmieder die Verlagsangestellten hinter sich, die Redaktion hingegen hat sich fast komplett abgewandt. Und ohne die ist schlecht Zeitung machen.
So hatte Koschmieder schon die erste Notnummer mit lediglich drei Getreuen zusammenschustern müssen: dem stellvertretenden Chefredakteur Holger Becker, dem Auslandschef Werner Pirker und der Redakteurin Ulrike Schulz. Die hatten sich in letzter Zeit beschwert, daß Minderheitenthemen wie Antifa, Rassismus und Feminismus zuviel Platz eingeräumt würde, während dem kleinen PDS-Mann auf der Straße zunehmend die Lektüre ausgehe. Der wolle schließlich auch mal was über die Umbennung des Leipziger Dimitroff-Platzes lesen.
„Volkstümelei“ nennt das Rekord-Leitartikler Jürgen Elsässer, der es sich mit Schlafsack und einer Flasche Whiskey im Büro bequem gemacht hat. Mit der DDR-Nostalgie von „orthodoxen Kommunisten und Nationalbolschewisten“ könne man keine linke Tageszeitung machen. Elsässers Schlüsselerlebnis war ein Kommentar von Koschmieder-Freund Becker, in dem die Antifa als „Anti-8x4“ bezeichnet wurde. „Weil man sich das eigene Volk nicht schlechtreden läßt, spottet man über die Minderheit, die sich dem Rassismus entgegenstemmt.“
Das inhaltliche Zerwürfnis, das man den Lesern immer noch als linke Pluralität verkaufen konnte, hat längst auch das zwischenmenschliche Klima im Haus vergiftet. So gilt altgedienten Verlagsmitarbeitern jeder Autor mit Nasenring als Chaot – Chefredakteur Behnken sieht sich schwulenfeindlichen Äußerungen ausgesetzt.
Die ehemals beschworene Solidarität ist also dahin, egal ob sich Redaktion und Geschäftsführung noch einigen können. Jetzt geht es nur noch ums nackte Überleben, denn auch die an dünne Zeitungen gewöhnte Leserschaft wird sich auf die Dauer nicht mit vier Seiten plus jungle World zufrieden geben. „Wenn die nicht schnell klein beigeben, ist die junge Welt tot“, befürchtet Jürgen Elsässer. Um das zu verhindern, hat Klaus Behnken seinen Rücktritt angeboten – unter der Voraussetzung, daß auch Koschmieder sein Amt niederlegt und demokratische Wahlen stattfinden können. Gleichzeitig soll eine Vermittlungskommission installiert werden mit PDS-Sprecher Hanno Harnisch und dem DKP- Professor Georg Fülberth. Am liebsten aber würde man Geschäftsführer Koschmieder, der gleichzeitig auch Eigentümer ist, sofort auszahlen. Angeblich befinden sich auf einem Konto 200.000 Mark – gezeichnete Anteile einer Genossenschaft, die nie zustande kam. Oliver Gehrs
Siehe auch Seite 10
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