Village Voice: Berlin, Texas
■ Phonoroid go West, Horacz Bluminth fährt dich ans versteckte Mittelmeer
Wie fotografische Schnellstaufnahmen mit Sofortergebnis heißen, ist bekannt. Akustische Kurzbelichtungen hingeworfener Momente bereiten da mehr Probleme. Instant-Takes? Snapsounds? Klingt alles nicht so gut.
Dann lieber Phonoroid, das Duo mit den wundervollsten Roadsongs seit der Erfindung von Highway 61 und Kamener Kreuz. Eine Hälfte ist Vanessa Vassar, gebürtige Texanerin und späteres Californian Girl. Daheim erlernte sie Gitarre, Banjo und Harmonika, studierte später klassische Musik und sang sogar mit Pavarotti. Daß sie dann nach New York ging, als „creative writer“ fürs Musikfernsehen arbeitete, verschweigen wir lieber, schließlich ist sie seit vier Jahren in Berlin – und hier zählt ja noch immer eher der Output als das Outfit. Zweiter im Bunde ist Axel Heilhecker: Gitarre gelernt bei Don Cherry und dann mit dem Rockzirkus durch die Lande gezogen und sogar mit eigener Band im Vorprogramm von Deep Purple gespielt. Schwamm drüber – denn das gemeinsame Debütalbum Two Many Frames hat gleich mehrere Vorteile: Erst einmal ist es so ordentlich produziert, daß es aus dem Stapel der lokalen Releases hervorsticht wie ein brandneuer Z 3 beim Gebrauchtwagenhändler um die Ecke. Außerdem liefert es schnuckelige Blues-Licks, psychedelische Fragmente mit einem Schuß Country und sparsam eingesetzte Percussion. Daß Vanessas Vocals dann gerne mit Tori Amos, Heather Nova oder gar Jean Smith in einen Topf geworfen werden – geschenkt. Der Cup für die eleganteste Formulierung geht übrigens, wie so oft in dieser Saison, nach Köln: „Countryfiziertes Portishead-Zenkloster“ geht kaum besser – und wären da nicht diese völlig überflüssigen Young-Collection-Shots im Booklet, könnte man diese Platte sogar ohne überflüssige Erklärungen bedenkenlos guten Freunden empfehlen.
Und jetzt etwas komplett anderes. Wie freut man sich an lockeren Tagen über eine Plattensammlung, in der böse Dinge wie „Dope, Guns and Fucking in the Streets“, „Assasins of God“ oder wenigstens „So Much Hate“ markig auf den Covern prangen. Doch wenn sich wirklich alles ganz und gar ungemütlich anfühlt, geht der schnelle Griff bei manchem wie vor zehn Jahren in Richtung Durutti Column – eben esoterisches Gegniedel für die einen, Seelenbalsam für die anderen. Sollte da in weiter Ferne und doch so nah noch Platz sein, kann man ihn getrost für den bereits bei einem TripHopPoetry- Abend im Prater angenehm aufgefallenen Nick Grindell und Martin Buchholz beziehungsweise Horacz Bluminth reservieren, deren orientalisch angehauchter Marsch Obskur genau die Platte ist, die dir eines fernen Tages vielleicht doch irgendwie gefallen könnte. Nicht nur eher (Saxophon), sondern total (Panflöte) uncool und fernab jeder Höhe der Zeit kommt diese gut zusammengewürfelte Melange aus Jazz, Trance und Weltmusik daher, fließt locker durch den Raum und gestattet sich sogar eine nette Klarinette. Und glücklicherweise schmeißt es niemanden kurz vor Goa ins kalte Wasser oder über Zentralaustralien ohne Fallschirm in Traumzeit-Reservate, sondern landet irgendwann am späten Nachmittag bei leichter Brise behutsam an einem versteckten Strand des Mittelmeers, der sich für ungebetenen Besuch nicht übermäßig interessiert und auch nicht so gerne mit einer Chillout-Area verwechselt werden möchte. Gunnar Lützow
Phonoroid: Two Many Frames (Clandestine/IMM)
Horacz Bluminth: Marsch Obskur (Adult Music)
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