■ FDP-Parteitag: Fatale Abhängigkeit von CDU und CSU: Vogel-Strauß-Politik
Die Betonung des eigenständigen Profils zog sich wie ein roter Faden durch den Wiesbadener Parteitag der FDP. Dabei hat sich die Partei auf diesem Treffen mehr denn je vom großen Koalitionspartner abhängig gemacht. Bislang hat die Union mit Hilfe von Zweitstimmenkampagnen lediglich über das parlamentarische Überleben der FDP mitentscheiden können. Seit diesem Parteitag bestimmt sie nun allein über inhaltlichen Erfolg oder Mißerfolg der Liberalen.
Es liegt ausschließlich bei CDU und CSU, ob die FDP überhaupt noch ein Konzept vorzuweisen hat. Beharrt die Union auf Steuererhöhungen, dann stehen die Liberalen nackt da. Die Delegierten des Parteitags haben die Chance versäumt, sich auch mit einer möglichen Rolle der FDP in der Opposition auseinanderzusetzen. Um die Unsicherheit an der Basis nicht noch zu verstärken, hat die Parteiführung in Wiesbaden demonstrativ auf Kampfeswillen und Zuversicht gesetzt. Dieser Kurs ist vielversprechend, wenn es verschiedene Bereiche gibt, in denen eine Partei um Erfolge kämpft.
Aber diese Bereiche gibt es für die FDP eben nicht mehr. FDP-Generalsekretär Westerwelle hat mit dem Beharren auf Steuersenkungen als dem einzigen großen Thema Ruhe in die Partei gebracht. Aber er hat ihr auch den Spielraum genommen, mit Kompromißbereitschaft in einer Frage auf Entgegenkommen in einer anderen pochen zu können. Für die FDP geht es jetzt bei der Steuerfrage um Alles oder Nichts. Das ist für eine Traditionspartei mehr als riskant. Es kann selbstmörderisch sein.
Die Zukunft der FDP ist offen. Das wissen die Mitglieder, die Parteispitze, das weiß die Öffentlichkeit. In Wiesbaden aber haben Zustand der Koalition, Haushaltslöcher und selbst die Existenzfrage der Partei keine Rolle gespielt. Die Führung hat die Basis für den Fall einer Niederlage im vorhersehbaren Steuerstreit mit der Union ohne Orientierung gelassen – und das ausgerechnet am Ende eines Parteitages, der ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet hat.
Der SPD-Vorsitzende Lafontaine hat jetzt der Koalition Entgegenkommen beim Thema Einkommensteuerreform signalisiert. Auch davon war in Wiesbaden nicht die Rede. Das Nachdenken über mögliche andere Bündnisse als die bestehende Bonner Koalition und die Konsequenzen, die die FDP daraus ziehen muß, waren auf dem Parteitag tabu. Dieses Verhalten kennt man vom Vogel Strauß. Bettina Gaus
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