■ Wahrheit-Klub: Livebericht vom Set, nur für Mitglieder: Die Rache des LAMINATORS
„ML-4“ stand auf einem kleinen Stück silbergrauen Gaffertapes neben die Wohnwagentür geklebt. Hier mußte es sein. Reinweiß stand der Wohnwagen etwas abseits von den anderen am Set. Die Aufnahmeleiterin hielt es für unproblematisch, wenn ich bis zur nächsten Drehpause im „Reisekäfig“, wie sie den Wohnwagen nannte, warten würde.
„Wir drehen jetzt noch eben den Sprung vom Frankfurter Messeturm“, sagte sie und kratzte sich am Ohr, „anschließend ist Umbaupause für den Feuersturm über der BASF, dann gibt's die Flutkatastr... – nee, die Invasion ...“ Sie schaute aufs Skript. „Die Erde können wir ja erst wieder ab 15 Uhr in die Luft sprengen“, fügte sie gedankenverloren hinzu und verdrehte die Augen. „...sonst beschweren sich die Anwohner. Aber Sie sehen's ja selbst: Heute passiert nich' viel.“ Dafür müsse ich wenigstens nicht lange warten, und im Lärm der anrollenden Panzerdivision rief sie mir noch zu: „Er ist ja schon auf Arbeitstemperatur!“ Dann verschwand sie zwischen den von überall herbeiströmenden Statistenmassen.
Als ich den Wohnwagenschlag öffnete und eintrat, empfing mich ein angenehmes Halbdunkel. Zierlich laminierte Jalousien dämpften das grelle Stakkato der Feuersäulen draußen. In den Ecken des Wägelchens stapelten sich alte Laminationsfolien, teilweise ordentlich in kleine Kartons gepackt, teilweise lose auf einer Recarmière aufgetürmt. Auf der Ablage unter dem Schminkspiegel standen – fast pedantisch aufgereiht – eine Kristallkaraffe mit Reinigungsbenzin mit einem ordentlich zurechtgelegten Läppchen daneben, ein Kistchen Zigarren und etwas Konfekt. Von draußen wehte der Wind einige Gewehrsalven und Völkerschlachtgebrüll herüber. Dann war es wieder still. Die Wand am Kopfende zierten mehrere laminierte Laminationsfolien, und darunter fand ich – rund und schlicht – die Steckdose, seine Steckdose.
„rmmm...“ machte der LAMINATOR leise, als er eintrat und sich einsteckerte. Das hörte sich an wie: „Vorsicht! Das sind gut 220 Volt“, während die kleine rote Leuchtdiode leuchtete, als wolle er hinzufügen: „Wechselstrom! Das ist jedermanns Sache nicht.“ Sein leises Brummen klang wie ein Lachen: „rmmm...“
Zum Film befragt, brummte der LAMINATOR nur leise vor sich. Verständlich, schließlich lief die PR-Maschinerie für „animal.laminator“ seit Wochen auf Hochtouren. Bereits ab Mitte Juni soll der Film unter dem Titel „Die Rache des LAMINATORS“ bundesweit in den Kinos anlaufen, angekündigt als „intelligenter Action-Thriller“ mit „hinreißenden Landschaftsaufnahmen“, „knisternder Erotik“ und „atemberaubenden Stunts“, sämtlich vom LAMINATOR selbst ausgeführt.
„rmmm...“, brummte der LAMINATOR und ließ keinen Zweifel daran, daß ihm bei seinem Debüt ehrlich-präzises Hand- und Walzwerk wichtiger war als aufwendige, aber unglaubwürdige Computeranimationen. Gerade die komplizierten Bewegungsabläufe beim Laminieren sind bis dato kaum glaubhaft zu simulieren.
Die Story von „animal.laminator – Die Rache des LAMINATORS“, deren Originalskript der LAMINATOR selbst laminierte, trägt in weiten Strecken autobiographische Züge und rankt sich im Kern um jene unselige Geschichte, die im vergangenen Herbst die Nation erschütterte und als der sogenannte „Nacktes-Fleisch-Skandal“ zunächst die Boulevardpresse und anschließend die „Berufsethos- Debatte“ die Feuilletons zu beschäftigen wußte – nachdem es dem LAMINATOR am 24.10. gelungen war, eine kleine Scheibe Parmaschinken zu laminieren. Die taz berichtete damals exklusiv bereits zwei Tage nach der umstrittenen Lamination.
Vis-à-vis im Gespräch nun machte der LAMINATOR einen ruhigen und gelassenen Eindruck. Fast ein wenig stoisch, ja, unbeholfen stand er da mit seinen Schrammen. Kaum zu glauben, daß dies der unerbittliche LAMINATOR sein sollte, der „eine Plastikfolie nach der anderen unnachgiebig in sein dunkles Inneres zieht und dabei so festhält, daß sie ihm nicht mehr entrissen werden kann“. (taz vom 12.10.96)
„rmmm...“ machte der LAMINATOR noch, als er mich freundlich bat, ihn allein zu lassen. Doch im Hinausgehen, als mein Blick ihn ein letztes Mal im Schminkspiegel streifte, wie er wie zum Spaß eine leere Laminationsfolie laminierte, war mir, als huschte über sein herkuleisches Dioden-Display ein Anflug von Einsamkeit.
Da erst glaubte ich zu erkennen, wie der LAMINATOR wirklich war: Frei war er, praktisch wartungsfrei. Christoph Schultheis
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