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Betr.: Vor 30 Jahren wurde Benno Ohnesorg erschossen - die Revolte war da

■ Chronik: Vom 18.12.1964 bis zum 21.11.1967

18. Dezember 1964: Protest gegen Diktator – Vor dem Regierungssitz des Senats im Berliner Bezirk Schöneberg demonstrieren Hunderte Studierende gegen den Staatsbesuch des Premiers des Kongos, Tshombe. Es war die erste nicht genehmigte, antiimperialistische Demonstration.

18. Mai 1965: Vorlesungsstreik – Der Direktor der Freien Universität Berlin (FU), Lüers, verbietet eine vom Asta organisierte Veranstaltung. Er erteilt dem Journalisten Erich Kuby Redeverbot – dessen politische Überzeugung war ihm zu links. Die StudentInnen boykottieren die Vorlesungen.

16. Juli 1965: Rücktrittsforderung Lüers soll aus dem Amt scheiden, so der Entschluß einer Uni-Vollversammlung mit rund 1.000 TeilnehmerInnen. Lüers hatte den Vertrag des Politikassistenten Ekkehart Krippendorf nicht verlängert, weil dieser sich angeblich illoyal gegenüber akademischen Gremien verhalten hatte.

5. Februar 1966: Erste Krawalle Der neue Rektor der FU untersagt ein studentisches Forum zum Thema Vietnam. Daraufhin ziehen etwa 2.500 StudentInnen durch Berlin und skandieren „Amis raus aus Vietnam“. Ein Teil der DemonstrantInnen protestiert vor dem Amerikahaus, einem US-Kulturzentrum. Fünf Frischeier landen an der Fassade. Die Polizei schreitet ein, als das Sternenbanner heruntergerissen werden soll.

22. Juni 1966: Neue Protestformen – Sit-ins und Teach-ins, importiert aus den USA, erobern den Campus. Mit Sitzstreiks und selbstorganisierten Lehrveranstaltungen wehren sich Studierende gegen den Akademischen Senat, der sich geweigert hatte, Uni-Räume für politische Treffen zur Verfügung zu stellen.

28. November 1966: Sozi-Demo „Wer macht uns frei? Eine neue Arbeiterpartei“ – mit dieser Parole wenden sich etwa 1.000 vorwiegend sozialdemokratische Mitglieder gegen die Poltik der „Großen Koalition“ in Bonn.

10. Dezember 1966: Weitere Proteste – Auf dem Wittenbergplatz wird gegen die amerikanische Kriegspolitik in Vietnam demonstriert. Die „Kommune 1“, Urzelle der politisch orientierten Wohngemeinschaften, versammelt sich zum „Weihnachtspolitischen Happening“ vor dem Café Kranzler und fordert: „Spießer aller Länder, vereinigt Euch!“ Fazit des Tages: 74 Festnahmen.

14. Dezember 1966: Bürgermeisterwahl – Der evangelische Theologe und SPD-Mann Heinrich Albertz wird neuer Regierender Bürgermeister von Berlin.

17. Dezember 1966: Spa-Pro- Taktik – Spaziergangprotest wird zur neuen Taktik des Sozialistischen Studentenbundes (SDS). Sobald die Polizei aufkreuzt, löst sich die Menge der Demonstrierenden auf und verweigert somit gesetzliche Angriffsfläche. Dennoch werden 85 Passanten, darunter auch Rudi Dutschke und zahlreiche JournalistInnen, festgenommen.

26. Januar 1967: Durchsuchung Wegen der Verbreitung eines Flugblattes durchsucht die Polizei das Zentrum des SDS. Die Mitgliederkartei wird beschlagnahmt. Mehr als 2.000 StudentInnen demonstrieren.

5. April 1967: Festnahmen –

Elf Mitglieder der „Kommune 1“ werden verhaftet. Der Vorwurf: Planung von Anschlägen auf den US-Vizepräsidenten mit Chemiebomben. Die Polizei beschlagnahmt Rauchkerzen, Farbstoffe, Pudding, Mehl und Buttercreme.

19. April 1967: Sitzstreik-Auflösung – Erstmals beendet die Polizei durch ihr Eingreifen ein Sit-in an der Uni.

30. April 1967: Gründungsversammlung – Der Republikanische Club, eine linksdemokratische Vereinigung, wird ins Leben gerufen. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger und der Kabarretist Wolfgang Neuss sind mit von der Partie.

25. Mai 1967: Alarmbereitschaft Für den bevorstehenden Schah- Besuch wird die höchste Sicherheitsstufe angeordnet.

2. Juni 1967: Vor dem Rathaus Schöneberg versammeln sich knapp 1.000 DemonstrantInnen, die gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs Reza Pahlevi protestieren. Am Abend Großdemonstration vor der Oper. Der Schah besucht mit seiner Frau Farah Mozarts „Zauberflöte“. „Jubelperser“ heizen die Stimmung an. DemonstrantInnen werfen Eier, Tomaten, gefüllte Milchbeutel und Rauchbomben.

20.07 Uhr: Angeordnete Polizeiräumung, Einkesselung, Wasserwerfer, Gummiknüppel. Panik bricht aus. 14 Krankenwagen sind vor Ort.

20.30 Uhr: Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras schießt mit seiner Dienstpistole. Er trifft den 26jährigen Studenten Benno Ohnesorg von hinten in den Kopf.

21 Uhr: Lautsprecherdurchsagen über einen angeblich erstochenen Polizisten.

23 Uhr: Benno Ohnesorg stirbt.

3. Juni 1967: Reaktionen – Die Polizei spricht von Notwehr. Der Senat erläßt ein totales Demonstrationsverbot. Der Regierende Bürgermeister Albertz: „Die Geduld der Stadt ist am Ende.“ Die Presse: „Wer Terror sät, erntet Härte.“ Bundeskanzler Kiesinger schickt dem Schah ein „Entschuldigungstelegramm“. StudentInnen versammeln sich und protestieren gegen den gewaltsamen Tod Ohesorgs. Sie sammeln 9.500 Mark für seine schwangere Witwe.

8. Juni 1967: Trauerfeier – 15.000 StudentInnen begleiten Ohnesorgs Sarg zur Autobahn. An der Grenze zur DDR schließen sich etwa 1.000 FDJler an. Polizeipräsident Duensing wird auf eigenen Wunsch beurlaubt. Das Berliner Abgeordnetenhaus beauftragt einen Untersuchungsausschuß mit der Klärung des Mordfalls.

9. Juni 1967: Kongreß – 7.000 TeilnehmerInnen bei dem Kongreß „Hochschule und Demokratie“ in Hannover. Jürgen Habermas und Rudi Dutschke sprechen.

13. Juni 1967: „Ordner“-Demonstration – Zum erstenmal wird wieder eine Demonstration genehmigt. Die Auflage war, Ordnungspersonal selbst zu stellen. Es erschienen 5.000 DemonstrantInnen, ein Großteil von ihnen mit Ordnerbinden.

26. September 1967: Rücktritt – Berlins Regierender Bürgermeister Albertz erklärt seinen Rücktritt. Seine Begründung: Er sei von der Polizei nicht korrekt über den Abend des 2. Juni informiert worden. Albertz relativiert seine zuerst harsche Reaktion. Er wird sich später als Vermittler mit der „Bewegung 2.Juni“ engagieren.

3. November 1967: Prozeßauftakt Vor dem Berliner Landgericht muß sich der Kriminalbeamte Kurras wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten. Kurras beharrt auf der Version von zwei Schüssen. Er habe sich extrem bedroht gefühlt. In den folgenden sieben Verhandlungstagen werden insgesamt 58 Zeugen vernommen. Sie widersprechen sich.

21. November 1967: Prozeßende „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse Berlin freigesprochen.“ Die Abgabe des Schusses sei eine „ungesteuerte“ Tat des Angeklagten gewesen, so das Gericht. Der Landgerichtsdirektor: „Es bleibt ein gewisses Unbehagen.“ Annette Kanis

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