: „Verrückt in dem Hunger nach Macht“
Das „System Suharto“ funktioniert: Seit 30 Jahren ist Indonesiens Präsident an der Macht. Die Wirtschaft wächst – die Armut der Bevölkerung und die Repression gegen Widersacher auch. Ein Ende dieser Ära ist nicht in Sicht ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch
Harte Augen aus geschminkten Gesichtern starren auf den Betrachter. Düster spannt sich der Himmel wie ein Zirkuszelt über eine Clownsfamilie, die Knüppel in den Händen trägt und die Füße auf abgeschlagenen Köpfen ruhen läßt. „Bittgebet“ nennt der Indonesier Agung Kurniowan sein Gemälde. Er läßt keinen Zweifel, wer hinter den Masken steckt: die Familie des Präsidenten Suharto. Dessen Ehefrau starb vergangenes Jahr – im Bild ist das Gesicht der Clownsfrau verhüllt. Der jüngste Sohn ist Autoproduzent – ein Clownskind steckt in einem Spielzeugwagen. Das böse Bild zeigt trefflich die groteske Herrschaft eines Clans über ein riesiges Land. Seit 30 Jahren regiert Suharto wie einst die Könige von Java – „verrückt in dem Hunger nach Macht“, wie sie der Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer beschreibt.
Der 75jährige Suharto, der aus dem armen Dorf Kemusuk in Zentraljava stammt, scheint sich mittlerweile in der Tradition der Adligen zu sehen – versehen mit einem göttlichen Mandat. Bereits vor Jahren ließ er ganz in der Nähe jenes heiligen Ortes, wo die Könige von Solo begraben sind, für sich und seine Familie ein stattliches Mausoleum errichten. Es ist ein Wallfahrtsort hoch auf dem Berg, mit schweren Teaksäulen und marmornen Böden – wie es dem Begründer einer neuen Dynastie und Herrscher über fast 200 Millionen Menschen geziemt. Sein Platz neben Ehefrau Tien ist fertig. Auch die Inschrift ist schon da. Sie verkündet schlicht: „Bapak Suharto“ – nicht Präsident oder General, sondern „Papa Suharto“.
Die Herrschaft wäre freilich nicht denkbar ohne die 450.000 Mann starke Armee. Mit Hilfe seiner Kameraden ist der frühere General Suharto 1965 an die Macht gekommen. Heute durchdringt die Armee alle Ebenen der zivilen Gesellschaft. Ihre Spezialeinheiten haben seit den sechziger Jahren mehr als eine Million Oppositionelle in Gefängnisse und Straflager gebracht. Zweite Säule von Suhartos Herrschaft ist der Islam. 87 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Die Geistlichen haben Suhartos „neue Ordnung“ unterstützt, weil sie Kommunisten und Sozialisten bekämpft. Zudem genießt der Präsident Rückhalt in den Chefetagen der großen Konzerne und Banken, an deren Spitze meist chinesischstämmige Kaufleute stehen.
Suharto hat eine sicheres Gespür für Opposition und vermag es, jeden, der zu stark zu werden droht, ins Abseits zu manövrieren: Klassisches Beispiel ist Aufstieg und Fall des Oberbefehlshabers der Armee, Benny Murdani. Der General verlor das Vertrauen seines Chefs, als er es wagte, die Geschäfte der Familie zu kritisieren. Schlimmer noch: Er versuchte, das Militär der direkten Kontrolle des Präsidenten zu entziehen. Suharto schob Murdani 1988 aufs Abstellgleis. Doch die Offiziere rächten sich und zwangen den Präsidenten, den neuen Oberbefehlshaber der Armee, Tri Sutrisno, 1993 zu seinem Vize zu machen.
Als Suharto merkte, daß sich bei den Militärs Unmut regte, suchte er seit Anfang der neunziger Jahre unter Muslimen Verbündete. Katholische Minister verloren ihren Posten, immer öfter besuchte er Moscheen und pilgerte nach Mekka. Er ließ zudem eine neue Organisation gründen: die „Indonesische Vereinigung muslimischer Intellektueller“ (ICMI). Chef wurde sein Technologieminister Bachruddin Yusuf Habibie. ICMI sollte Gegenpol zur „Nahdlathul Ulama“, der Gemeinschaft der Religionslehrer, werden. An der Spitze der 30 Millionen Mitglieder starken Organisation steht der charismatische Abdurrahman Wahid – ein Demokrat und Suharto-Gegner.
Das System Suharto funktioniert: Indonesien gedieh zu einer aufstrebenden Wirtschaftsmacht mit einem jährlichen Wachstum von etwa sieben Prozent. Nach offiziellen Statistiken verbesserte sich die Lage der Menschen deutlich: Nur noch rund 11 Prozent der Bevölkerung leben heute unter der Armutsgrenze, 1980 waren es noch 40 Prozent. Die Indonesier verdienen heute im Schnitt fast 1.000 Dollar, 1960 waren es noch 80.
Der Preis für diesen Erfolg ist hoch. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich dramatisch vertieft. Das Wachstum beruht vor allem auf extrem niedrigen Löhnen, Millionen von Arbeitern verdienen umgerechnet nur rund drei Mark am Tag. Streiks schlägt die Polizei brutal nieder, Gewerkschafter sitzen im Gefängnis oder verschwinden. Hoffnung auf Gerechtigkeit gibt es kaum, denn die Justiz ist korrupt oder machtlos.
Richtig reich ist eine kleine Schicht – vor allem der Suharto- Clan selbst. Der Patriarch sorgt dafür, daß seine sechs Kinder bei jedem wichtigen Geschäft beteiligt werden. Seine verstorbene Ehefrau Tien hieß in den Bevölkerung auch „Madame Zehn Prozent“... Wieviel die Suhartos heute genau besitzen, weiß niemand. Zu den erfolgreichsten gehört sein 43jähriger Sohn Bambang Trihatmodjo: Es heißt, er sei drei Milliarden Dollar schwer. Die älteste Tochter, Siti Hardiyanti Rukmana (48), genannt „Tutut“, verdiente ihr auf zwei Milliarden Dollar geschätztes Vermögen vor allem mit Immobilien, Mautstraßen, TV-Sendern und Banken.
Ermöglicht hat dies eine erstaunliche Mischung aus javanischem Familiensinn, einer auf Patronage und Privilegien basierenden Wirtschaft und atemberaubender Skrupellosigkeit. Der 34jährige Bruder Tommy Tutomo Mandala Purtra (600 Millionen Dollar) darf zum Beispiel das nationale Auto „Timor“ produzieren und verkaufen. Dafür gibt es großzügige Nachlässe bei Gebühren und Zöllen. Allerdings: Der Timor läuft bislang in Süd-Korea vom Band – was Tommy aber nicht hindert, von den Subventionen zu profitieren.
Selbst jenen Indonesiern, die akzeptieren, daß ein javanischer Familienvater wie Suharto für die Seinen sorgen muß, ist inzwischen die Habgier des Clans unerträglich geworden. In der wachsenden Mittelschicht und unter indonesischen Geschäftsleuten, die sich nicht der Nähe der Suhartos rühmen können, wächst der Unmut: „Das Management von Nr. 1 ist schlecht“, meint ein chinesischer Händler. Die Korruption schlage alle Rekorde in Asien. Selbst einige von Suhartos alten Gefährten wie der ehemalige General Sumitro beklagen „Korruption, Vetternwirtschaft, Ungerechtigkeit und die Kluft zwischen Arm und Reich“.
Immer häufiger explodierten in den letzten Monaten politische Unzufriedenheit und soziale Spannungen. Unruhen und Krawalle richteten sich vor allem gegen ethnische Minderheiten, Christen und gegen die Symbole des Reichtums wie Einkaufszentren und Banken.
Niemand zweifelt daran, daß Suharto sich im nächsten Jahr zum siebten Mal zum Präsidenten küren lassen will. „Er kann gar nicht abtreten“, sagt ein Politologe in Jakarta, „er muß den Reichtum seiner Familie schützen.“ Doch längst zerbrechen sich Offiziere, Politiker und Wissenschaftler den Kopf über die Ära nach Suharto. Selbst regierungsnahe Forschungsinstitute sind davon überzeugt, daß Indonesien politische Reformen braucht. Aber: Ohne Armee, sagt Dewi Fortuna Anwar vom Institut für Sozialwissenschaften, gehe es auch in Zukunft nicht: „Die Militärs glauben nicht an das Primat einer zivilen Gesellschaft.“ Suharto schweigt. Deswegen wuchern in Jakarta die Spekulationen, wen er zu seinem Vizepräsidenten erwählt. Der würde ihn automatisch beerben, wenn er zurücktritt oder stirbt. Ein Bewerber dürfte der einflußreiche Armee-Oberbefehlshaber Feisal Tanjung sein. Im Gespräch ist auch Suhartos älteste Tochter, Tutut. Technologieminister Habibie, vergangenes Jahr noch als Kronprinz gehandelt, befindet sich derzeit, wie ein Oppositioneller sagt, „im politischen Tiefflug“. Denn seine ICMI fiel beim Präsidenten in Ungnade, weil Vorstandsmitglied Amien Rais es gewagt hatte, die Geschäfte der Suhartos im Zusammenhang mit dem jüngsten Goldminen-Skandal auf Borneo zu kritisieren. Suharto befahl Habibie in einer fünfstündigen Lektion über Loyalität, Rais zu entlassen.
Die Zeit drängt. Oppositionelle wie Regierungsangehörige fürchten nichts so sehr wie ein ungeregeltes Ende der Suharto-Herrschaft. Denn in Indonesien hat niemand Erfahrung mit einen friedlichen Machtwechsel. Die Erinnerung an das Ende der Sukarno-Ära ist noch lebendig: Nach dem bis heute ungeklärten Putsch 1965 starben rund 500.000 als Kommunisten verdächtigte Menschen. Ein Anhänger des Forums für Demokratie, der unter Suharto im Gefängnis saß und dessen Herrschaft bitter kritisiert, meint: „Ich könnte mich damit abfinden, Suharto noch ein paar Jahre zu haben, wenn er nur seine Nachfolge regelte.“
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