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Der Spionagechef im Theater: Kunst! Ich mache Kunst!

Der Mann hat Sinn für den großen Auftritt. Markus Wolf betritt das Berliner Ensemble – mit einem Bodyguard. Der weicht keine Sekunde von seiner Seite, so als sei das Attentat auf seinen Chef nur eine Frage der Zeit. Der Spionagechef der DDR im feindlichen Territorium? Kalter Krieg am Schiffbauerdamm? Plötzlich stürzen sich unzählige Fotografen auf Markus Wolf, als hätte es die letzten vierzig Jahre kein Bild von ihm gegeben. Wolf weiß, was sich gehört, und spielt noch einmal seine beste Rolle – den „Mann ohne Gesicht“. Er erfüllt den Fotografen, die schließlich jahrzehntelang warten mußten, jeden Wunsch: Kopf nach links, Kopf nach rechts, Buch in der linken Hand, Buch in der rechten Hand, Markus Wolf ernst, Markus Wolf lächelnd. Kommt Herbert Wehner auch? fragt ein Journalist.

Das Mißverständnis nimmt seinen Lauf. Christian Strasser vom List Verlag spricht von einer „weltweiten Uraufführung“ der Memoiren von Markus Wolf. Die deutschen Rechte habe List vom amerikanischen Verlag Random House über einen (Achtung, Geheimdienst!) Agenten in London erworben... Pause zum Lachen..., über einen Literaturagenten. Die Veröffentlichung sei unter strenger Geheimhaltung vorbereitet worden, in Deutschland hätten bis zum heutigen Tag nur sechs, sieben Leute das Buch gelesen. Wenn das Erich Mielke wüßte!

Dann bittet der Verleger die Journalisten, ihre Fragen zu stellen. Sie sollten vorher ihren Namen und ihre Frage auf einen Zettel schreiben und diesen dann auf die Bühne reichen. „Das ist ja wie in der DDR!“ regen sich die Journalisten auf, und da ein Vorwurf in Deutschland schwerer nicht sein könnte, läßt der Verleger seine konspirative Idee gleich wieder fallen.

Und schon schleudern die Journalisten ihre knallharten, investigativen Fragen auf die Bühne: Herr Wolf, haben Sie das Buch selber geschrieben? – Wer hat bei der Wehner-Kampagne Regie geführt? Sie wollen uns ja wohl nicht weismachen, sie hätten damit nichts zu tun? – Wäre es besser gewesen, Guillaume wäre nie mit nach Norwegen gefahren? Markus Wolf gibt auf jede Frage höflich Auskunft. Das Buch habe er selber geschrieben, für den amerikanischen Markt ist es allerdings stark umgeschrieben worden. Mit der Wehner-Kampagne habe er nichts zu tun. Er habe Wehner nie einen Verräter genannt. Und das mit Guillaume war unglücklich. Für alle weiteren Fragen gilt: „Das lag nicht in meiner Verantwortung.“ Oder: „Keiner kann sich von Schuld freisprechen.“

Im Berliner Ensemble treffen zwei Welten aufeinander. Markus Wolf, Sohn des Schriftstellers Friedrich Wolf und Bruder des Filmemachers Konrad Wolf, möchte so gerne ein Literat sein. Was ist schon Guillaume in Norwegen gegen das Schicksal des 20. Jahrhunderts? Kunst, scheint der Geheimdienstchef, der seine eigene Legende geworden ist, die ganze Zeit verzweifelt zu rufen, ich mache Kunst! Aber keiner glaubt ihm. Einmal Geheimdienst, immer Geheimdienst. Und so bleibt Markus Wolf nur der Trotz. Am Ende seines Buches schreibt er: „Mein Leben war nicht umsonst.“ Aus dem Mann von Welt ist plötzlich ein kleiner Ostdeutscher geworden. Jens König

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